Letzte Paradiese gibt es viele. Eines liegt in Ecuador am Rio Kashap im Amazonas, eine Flugstunde beziehungsweise zwei bis drei Tagesmärsche von der Provinzhauptstadt Puyo entfernt und 30 Minuten Bootsfahrt von Guarani. Das Paradies, das am Rio Kashap liegt, ist ein Dorf mit selbigem Namen. Die Dorfbewohner gehören dem Stamm der Achuar an, einer indigenen Volksgruppe.

Kashap sei noch im Aufbau, erzählt uns Mascha Kauka bei unserer Ankunft dort. Und damit meint sie den Aufbau ihres Zwecks. Nämlich indigenen Völkern im Amazonas zu helfen, eine alternative Einnahmequelle zu finden: Aufbau von touristischen Angeboten. Als Mascha Kauka das sagt, stehen wir auf der unfertigen Flugpiste von Kashap. Viele Dörfer im Regenwald haben eine solche Piste, nicht nur diejenigen, die Kauka mit ihrer Arbeit unterstützt.

Wer Tourismus will, braucht also eine Flugpiste, auf der die Cessnas der örtlichen Fluggesellschaft Aerokashurco starten und landen können. Klingt logisch, dennoch staunen wir nicht schlecht. Denn welcher Tourist soll bei einer solch beschwerlichen Anreise den Weg nach Kashap finden?

Diese Frage ist übertragbar: Auf Guarani oder Yuwints – ebenfalls „Projektdörfer“ von Kauka, den Indianern beim Geldverdienen zu helfen. Wie sie sagt, seit 40 Jahren sehr erfolgreich. Dieser Erfolg ist auch nachzulesen in diversen Pressemitteilungen auf der Website von ihrer Stiftung namens Amazonica. Unter diesem Label läuft das Ganze nämlich.

Wer also wissen will, was in Kashap noch aufgebaut wird, muss nach Yuwints oder Guarani reisen. Hier kann er sich einen Überblick verschaffen, inwiefern europäischer Lifestyle im Amazonas bei den Indianern angekommen ist. Das taten wir 10 Tage lang. Wir erlebten, wie deutsche Kochkunst und deutsche Toilettenspülungen mit indianischem Flair im Amazonas kombiniert werden.

Einige der letzten Paradiese werden also europäisiert – auf Wunsch der Indianer, darauf legt Kauka immer Wert. Und sie legt auf die europäische Erziehung Wert. Denn hier will eines nicht so richtig klappen: die deutsche Disziplin beim Service der selbst gewählten Hotellerieambitionen.

Amazonica Redaktionsdienst Andrea Lumina
Die Köchin

Und so wirbelt Mascha Kauka den ganzen Tag mit herum auf ihrem Areal der Ruhe – vornehmlich in der Küche. Die Köchinnen stehen unter strenger Kauka-Beobachtung. Augen werden da nicht zugedrückt und wenn’s mal schmeckt, hätten wir es ihrem Eingreifen und ihrer Rettung des Rezeptes zu verdanken.

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Der Herd
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Yuwints – die Küche

Zum Glück: Es gibt auch Ausreißer unter den Indianern von diesem Kauka-Prinzip. „Eine der Köchinnen streikte vor einiger Zeit und verweigerte standhaft die weitere Küchenarbeit“, berichtet sie noch immer kopfschüttelnd. Ihre Antwort war ihr umgehender Rausschmiss. Und so umweht das Ganze in Yuwints und Guarani doch auch eine koloniale Nostalgie.

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Yuwints – Die Lodge für Touristen

Als Touristen

Angereist waren wir als Touristen und konnten in dieser Rolle erleben, ob das erzieherische Konzept aufgegangen ist. Doch nennen wir es lieber Ausbildung, denn einer solchen müssen sich die Indianer unterziehen, bevor sie auf Touristen losgelassen werden – wie überall auf dieser Erde. Die Ausbildung findet in der Akademie der Stiftung statt. Das straffe Programm bringt willigen Indianern in einem Crashkurs alles bei: Housekeeping, Kochen, Bedienen, Tischdecken oder Fragen nach dem werten Befinden.

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Die Absolventen der diesjährigen Ausbildung – erster Block

Die Akademie sei ein schwarzes Nullsummengeschäft, betont sie. Finanziert wird die durch Spenden. Die Studenten bekommen Flug, Unterkunft und Verpflegung bezahlt. Kauka vergibt ihnen diese Stipendien. Und wer das Glück hat, ein solches zu erhalten, hat auch das Glück, von Hotellerieexpertinnen und -experten der Uni Cuenca unterrichtet zu werden. Auch die Dozenten verleben dann bei ihr eine kostenfreie Zeit.

Doch nur mit Spenden allein kann sie diese Kosten nicht decken. Dazu braucht sie (auch) die Einnahmen der Touristen, die den beschwerlichen Weg in den Wald zu ihr auf sich genommen haben. Viele sind das aber nicht. „Soll auch nie Massentourismus werden“, sagt Kauka. Viele Freunde und Bekannte kommen. Wir fragen nach, ob denn auch „Fremde“ kommen. Das bestätigt sie zahlenlos und bleibt diskret.

Auf Zahlen lässt sie sich nicht ein. Überhaupt bleibt sie intransparent, wenn’s um Preise geht. Sie bleibt verschlossen, wenn wir zum Beispiel wissen wollen, wie sich unser Reisepreis aufteilt. Denn bei dem ist durchaus eine Nachfrage erlaubt. Yuwints kostet uns pro Tag und pro Person 300 Euro beziehungsweise 600 Euro für zwei Personen (für Übernachtung, Vollpension, 1 täglicher Ausflug, fließendes Wasser, zeitweise Strom, Toiletten mit Spülung und Duschen). Ohne die Flüge in den Regenwald: Die kosten rund 800 Dollar extra. Wir haben für 10 Tage pro Person 3.000 Euro bezahlt. Zzgl der Flüge nach Quito, die mit 1.000 Euro irgendwie vergleichsweise billig erscheinen.

Mehr zu Amazonica von Mascha Kauka gibts hier: Amazonica Teil 1 und Teil 2

Dieses undurchsichtige Preis-Leistungsverhältnis verspricht von Außen betrachtet – noch in Europa seiend – einen Luxusaufenthalt im Dschungel. Doch das ist es keineswegs. Nachts müssen wir in Yuwints in die Gemeinschaftstoiletten mit Taschenlampe schaukeln vorbei an diversen Krabbeleien auf dem Boden, an den Wänden und in den Waschbecken. Was an sich nicht schlimm wäre, doch unerwartet bei diesem Preis.

In Guarani, weitere 40 Minuten Flug in den Wald rein, hat uns der Tag pro Person „nur“ rund 180 Euro gekostet. Der reduzierte Preis lag wahrscheinlich daran, weil dort gezeltet wurde, kein fließendes Wasser war und gar kein Strom, Nass-Trockentoiletten (also eigentlich keine Toiletten), Körperwäsche im Fluss nur bei Niedrigwasser möglich (was im Regenwald selten vorkommt).

Redaktionsdienst Andrea Lumina
Zelten am Rio Pastaza, Guarani

„Es wäre zu überlegen, eine alternative Einnahmequelle für die Akademie zu konstruieren, um den Tourismus billiger zu gestalten“, sinniert Mascha Kauka während unseres Preisgesprächs. Denn es gäbe viele Interessierte in der Heimat. Fraglich aber, ob dieser Preis einladend wirkt oder nicht.

Die Indianer sind ihr dankbar. Das muss ehrlicherweise lobend erwähnt werden! Denn sie wollen nicht in die Städte auswandern müssen, um ihren Kindern eine Zukunft zu finanzieren. Die Indianer brauchen das kauka’sche Engagement, weil sie nicht viel Auswahl haben. Auch benötigen sie sie, um ihre Territorien vor bösen Mächten wie der Zivilisation, Ölförderung oder Rodung zu bewahren.

Und deshalb ist in Kashap noch alles im Aufbau. Hier wollen die Bewohner das Yuwint’sche und Guarani’sche Modell auch haben. Inwiefern dort Strom und Wasser gelegt, und ob dort auch gezeltet wird, bleibt abzuwarten. Ein Flugplatz muss jedenfalls hin, das ist sicher. Denn wie gesagt, Touristen ist in Sachen Nichtluxus bei hohen Preisen viel zuzumuten, nicht aber in Sachen Urlaubnehmen beim heimischen Arbeitgeber. Schnelle Anreisen sind also die Basis für das ganze Konzept.

Und einmal im Regenwald angekommen, erwartet jeden und jede ein fantastisches Naturschauspiel. Das ist wirklich einzigartig und sehr beeindruckend. In den Genuss kommen aber nur die gut Trainierten. Der Boden ist verschlammt, weil es dort natürlich viel regnet. Die Wege sind nicht als Wege zu bezeichnen, eher als Pfade, die steil aufwärts und abwärts gehen bei meistens rutschigem Untergrund. Wer dort einen Ausflug unternehmen will, muss trittsicher sein, auch kniehoch im Fluss wandern können mit voll gelaufenen Stiefeln. Eine gewisse sportliche Fitness ist absolute Grundvoraussetzung für den Besuch. Unser Tipp: Man möge seine Fitness wirklich kritisch begutachten.

Redaktionsdienst Andrea Lumina
Blick auf den Regenwald in Ecuador

Denn es wäre schade, wenn man nicht geeignet ist. Nicht nur wegen der tollen Atmosphäre und der einzigartigen Flora und Fauna des Regenwaldes – auch wegen des Geldes. Einen Ausfall zahlt keiner zurück, noch nicht einmal aus gesundheitlichen Gründen. Auch da ist Mascha Kauka konsequent. Denn sie verteile das Geld unter den Indianern sobald es auf ihrem Konto (6 Wochen vor Ankunft) eingegangen sei. Zurückholen wolle sie es nicht mehr, auch nicht aus Kulanz.

Redaktionsdienst Andrea Lumina
Impressionen im Dschungel

Ein großes Herz hat sie – das haben wir gemerkt. Und so können wir nur alle aufrufen, der Stiftung Geld zu spenden. Kauka’s Konzept ist einzigartig. Denn alle Spender können sich selbst davon überzeugen, wohin ihre Spenden fließen. Da wird nicht geschummelt. Ein Teil der 3.000 Euro ist sicherlich auch einfach nur eine Spende an die Indianer. Das ist das anzunehmende Fazit, was die Quote rechtfertigen könnte. Aber das sind alles nur Vermutungen. Und würde diese Vermutung stimmen, ist nichts gegen das touristische Konzept  einzuwenden. Vielleicht bekommt man in naher Zukunft für seine Reise in den Amazonas eine Spendenquittung – wer weiß.