Verkehrszentrum

Quo vadis Mobilität? Diese doch auch irgendwie gewöhnliche Frage haben wir an eine für dieses Metier doch eher ungewöhnliche Institution gerichtet – zumindest auf den ersten Blick – nämlich an das Deutsche Museum in München. Dr. Bettina Gundler leitet dort das Verkehrszentrum. Ihre Sicht in Sachen Mobilität und deren Grenzen spiegeln auch die Lösungsansätze wieder, die sie und ihr Team in den Ausstellungen versuchen zu zeigen.

Frau Dr. Gundler, Mobilität hat ja eine gewisse Schnelllebigkeit an sich. Denken Sie, dass ein Museum dem gerecht werden kann?

Ja und nein. Natürlich können wir die Jetztzeit selten mit Ausstellungen abbilden. Denn eine Ausstellung benötigt viel Vorlauf. Wir können nur die Themen aufgreifen, von denen wir sicher sind, dass sie auch ein Trend werden und dass sie noch in fünf Jahren aktuell sind. Diese Quadratur des Kreises schaffen wir aber mit unseren unterschiedlichen Konzepten. Da gibt es die Dauerausstellungen. Sie befassen sich zurückhaltend mit Themen, die noch nicht zu Ende gedacht sind. Dann gibt es die temporären Sonderausstellungen für die zeitnahen Themen. Und zu guter Letzt haben wir das Format der Veranstaltungen. Mit ihnen greifen wir richtig aktuelle Fragen auf. Diese Variante pflegen wir regelmäßig, auch teilweise in Kooperation mit der TU München oder der Landeshauptstadt München. Da werden auch regionale Belange aus München beziehungsweise Bayern diskutiert. Und wir sind bemüht, zu jedem Thema Lösungsansätze zu präsentieren, insbesondere was die Mobilität betrifft.

Wie sieht es denn Ihrer Meinung nach hier aus – welche Lösungsansätze präsentieren Sie uns?

Alternative Antriebe, Elektromobilität, smarte Mobilitätsdienstleistungen, auch automatisiertes Fahren sind bei uns seit einiger Zeit wichtige Themen. Mobilität soll nachhaltiger werden; in Expertenkreisen wird viel von einer nötigen Mobilitätswende gesprochen. Die Grenzen von Mobilität und Verkehrsstillstand erfahren wir in den großen Städten ja ständig. Mobilität ist ein sehr komplexes Geschehen. Da gibt es viele Lösungen und Lösungsvorschläge, je nach Verkehrsmittel und Ort. Es wird darum gehen neue Fahrzeuge und Verkehrskonzepte zu entwickeln, bekannte Technologien zu verbessern, mit neuen Kommunikationsangeboten und Verkehrsleitmethoden, den Verkehrsfluss zu optimieren, aber auch öfter mal das Verkehrsmittel zu wechseln und das Auto stehen zu lassen. Wir versuchen zu vermitteln, woran gearbeitet wird und dass nicht die eine einzige und wahre Verkehrsrevolution zu erwarten ist. Es gibt in Sachen Verkehr und Verkehrsplanung unendlich viele Baustellen und Teilaspekte. Unsere Aufgabe als Deutsches Museum ist es, diese einzeln in den Diskussionsfokus zu stellen.

Was meinen Sie damit genau? Verkehr und Mobilität sind ein ziemlich zähes Geschäft. Neue Fahrzeugkonzepte kann man relativ schnell entwickeln – sie in den Verkehr einzuführen, neue Infrastrukturen einzurichten, ein System zu optimieren ist viel komplizierter, weil es lange Planungsvorläufe, Abstimmungen und Mittel braucht. Oft ist es das Kleinklein des Optimierens und des Besserwerdens, das den Verkehr am Gehen hält. Lösungsansätze sind auch manchmal ein Spagat. Nehmen wir das Beispiel Car-Sharing. Die neuen Mietautos sollen beispielsweise keine Konkurrenz zum traditionellen öffentlichen Verkehr werden, sondern zum Umsteigen einladen Ob das auch von den Nutzern so gehandhabt wird, kann man nur erproben. Ich glaube auch, dass die Zukunft viel weniger visionär sein wird in Sachen Mobilität als manche das erwarten. In der Praxis ist Verkehr ein großtechnisches System, in dem es nicht nur um einzelne Fahrzeuge, sondern auch um das Zusammenspiel mit den nötigen Infrastrukturen, um organisatorische Abläufe – z.B. beim Flottenmanagement oder der Fahrplangestaltung – und große Kommunikationsnetze geht.

Lastenrad
Lastenrad

Wie beim Güterverkehr? Genau, da gibt es viele kleine und große Stellschrauben. Sie können an den LKWs arbeiten, die die Güter transportieren, besonders große Wagen auf langer Strecke einsetzen oder sie z.B. mit Assistenzsystemen ausstatten und künftig automatisiert im Konvoi fahren lassen. Sie können im Nahbereich Lastenbikes für die Paketzustellung auf der letzten Meile einsetzen. Oder sie verbessern die Schienennetze und bemühen sich um eine Renaissance des Güterverkehrs auf Schienen. Diese Vielfalt sichtbar zu machen, ist eine unserer Aufgaben. Es ist nicht die eine kleine Stellschraube und auch nicht die eine einzige neue Fahrzeugtechnologie, die plötzlich unsere Zukunft anders aufstellt.

Was halten Sie von zugespitzten Diskussionen und Erwartungshaltungen in Sachen Mobilität?

Also wenn ich das Beispiel Elektromobilität nehmen darf, halte ich manche Erwartung für überzogen. Es wird viel entwickelt und getan. Aber so richtig in Gang kommt der Absatz von E-Autos in unseren Breiten immer noch nicht, weil die Ladeinfrastruktur erst langsam wächst, weil Kunden zurückhaltend sind, weil die Erwartungen an Elektroautos oft den Benziner zum Maßstab haben usw. Aber: Mobilität wird nicht nur vom Auto bestimmt. Es gibt ja auch noch Busse und Bahnen aller Art und das Zweirad, das in den letzten 20 Jahren überraschend Neuland gewinnt.

Sie sprechen das Fahrrad an? Richtig, Hier hat sich ein Umdenken vollzogen. Die Geschichte des Zweirads ist von aufs und Abs gekennzeichnet. Anfangs war das Zweirad ein Luxusgut für die Bessergestellten in der Gesellschaft. Heute ist es ein Massensportgerät und ein massenhaft genutztes Verkehrsmittel, das gerade eine Renaissance als nachhaltiges Verkehrsmittel erlebt und viele Verkehrsplaner interessiert. Solche Entwicklungszyklen sind planerisch nur bedingt absehbar und betreffen natürlich auch andere Verkehrsmittel. Wir zeigen derzeit eine Sonderausstellung, die unter anderem auf diese Konjunkturen des Fahrrads eingeht.

Komplexität als Grenze? Ich sehe sie eher als Antrieb, Verkehr und Mobilität mal aus der Vogelperspektive zu betrachten und über die Auswirkungen der Einführung neuer Technologien und Maßnahmen nachzudenken. Auch als Antrieb, sich selbst als Teilnehmer des Verkehrs mal zu reflektieren. Wir als Individuen sind gefordert, uns nicht nur immer auf die nächste Technik zu stürzen. Wir sollten vielleicht gelegentlich mal hinterfragen, was wir da eigentlich jeden Tag tun und ob es individuelle Alternativen gibt. Beispielsweise können Sie in unserer Ausstellung mittels einer Demo ermitteln, wie sich ihr persönlicher Ausstoß an klimaveränderndem CO² ändert, je nachdem welche Verkehrsmittel sie wählen.

Welche Bedeutung haben all diese Aspekte für die Konzeption des Verkehrszentrums?

Es gilt natürlich, dass wir uns bemühen, die historische Entwicklung, die wir in unseren Ausstellungen zeigen, bis in die Gegenwart weiterzudenken. Und insofern ist die Technologie von morgen ein wichtiges Thema, sei es die Elektromobilität oder das automatisierte Fahren. Um dem Ganzen noch besser Rechnung tragen zu können, überarbeiten wir unsere Dauerausstellung. Meine Absicht ist es, in den nächsten drei bis vier Jahren einen Ausstellungsbereich zu kreieren, der den Blick auf die nahe Zukunft des Verkehrs und des Autos richtet. Wir planen eine neue Restaurierungswerkstatt, in die auch Besucher Einblick haben werden. Das gibt uns die Möglichkeit, einen ganzen Flügel unserer Ausstellung zu überarbeiten.

Das Verkehrszentrum des Deutschen Museums 
Es befindet sich in den drei historischen Münchener Messehallen. Saniert und restauriert sind diese Hallen jetzt auch ein architektonisches Erlebnis für seine Besucher. Das Verkehrszentrum präsentiert in den drei Hallen auf 12.000 m² drei große Themenausstellungen, zum Stadtverkehr, zum Reisen, zu Mobilität und Technik. Im Mittelpunkt steht die umfassende historische Sammlung des Deutschen Museums mit vielen Meilensteinen und besonderen Fahrzeugen, wie dem Benz-Patent-Motorwagen, bewegten Großexponaten wie der Schnellzugdampflokomotive S 3/6 oder der „Puffing Billy“, Autos Fahrrädern, U-, S- und Straßenbahnen. Die Exponate sind oft szenisch angeordnet und werden nicht mit all ihren technischen Finessen und Facetten präsentiert. Die Darstellung betont die Nutzerperspektive. „Wir alle sind ja irgendwie auch Verkehrsexperten. Wer kann nicht Fahrrad fahren? Und die meisten von uns haben einen Führerschein. Wir können eine U-Bahn benutzen. Und wir kennen uns aus in unserem Verkehrsalltag und wissen um seine Probleme“, sagt die Leiterin. Das Kredo scheint simpel: Unser aller Expertise wird zur Grundlage der Ausstellung gemacht. Die Besucherinnen können sich in den Themen wiederfinden und schauen dadurch mit erweiterter Perspektive auf die Exponate.

Können Sie abschließend noch etwas zu Ihrer Ausstellung 200 Jahre Zweirad sagen?

Wir haben das Jubiläum der Draisschen Laufmaschine zum Anlass genommen, uns dem Zweirad zu widmen. Das Verkehrszentrum hat die Ausstellung produziert, weil das Fahrrad ein Verkehrsmittel ist, das unsere Idee von individueller Mobilität nachhaltig geprägt hat und derzeit wieder auf zunehmendes Interesse stößt.

Vom Eventmobil zum Sportgerät für wohlhabendere Leute? Genau, im 19. Jahrhundert wurde das Fahrrad als Sportgerät erfunden. Zum Verkehrsmittel mutierte es erst seit etwa 1900 und war in 1920ern bis 1950ern das wichtigste Volksfahrzeug. Dann geriet es durch das Automobil in Bedrängnis. Und jetzt ist es wieder ein Verkehrsmittel mit Perspektive, das sich heute übrigens als eine mögliche Lösung für nachhaltige Mobilität erweist. Das Fahrrad hat eine wichtige Bedeutung für alle Verkehrsplanende. Es produziert keine Emission, braucht wenig Verkehrsraum und macht dennoch mobil. Die spannenden Facetten der Radgeschichte vom Sport über die Kultur bis hin zum Verkehrsmittel haben uns dazu bewogen, diese Ausstellung zu machen.

Der Kutschensimulator steht in Halle 2
Im Kutschensimulator kann man das Fahrgefühl von früher nachempfinden.

Was ist das Besondere der Ausstellung? Da gibt es u.a. viele frühe Exponate, wie eine originale Drais’sche Laufmaschine oder ein skurriles Humber-Dreirad aus den 1880ern, eine Art Tandem, aber auch viele Alltagsräder aus allen Phasen sowie Sporträder und auch topaktuelle Zweiräder. All das ist in bildreiche Ausstellungseinheiten zur Technik, zu Kultur und Sport und zu Verkehr und Mobilität mit dem Fahrrad eingebettet. Dazu gibt es einige Aktivstationen. Besucher können auch selber auf ein Hochrad steigen. Da kann nichts passieren, denn es ist fest montiert. Auch die Energieräder können getestet werden.
Beim Mensch-Maschine-System ist das Rad unschlagbar? Das ist es – vor allem unter Energieaspekten. Da kann kaum ein Vehikel mithalten.

Herzlichen Dank Frau Dr. Gundler!