Distelhummel (Bombus soroeensis) - Foto Copyright by Jens Anders
Distelhummel (Bombus soroeensis) - Foto Copyright by Jens Anders

Erfreulich ist, wenn sich skandinavische Wissenschaftler deutsche Studien schnappen, um etwas über den insektoiden Artenschutz in Deutschland herauszufinden. Nicht erfreulich ist, was die skandinavischen Wissenschaftler entdeckt haben: In den letzten 30 Jahren habe die Anzahl der Insekten in Naturschutzgebieten, Landschaftsschutzgebieten und Biosphärenreservaten um 75 Prozent abgenommen.

Was nun, Herr Groß? Professor Dr. Jorge Groß ist Direktor des Instituts zur Erforschung und Entwicklung von fachbezogenem Unterricht an der Uni Bamberg. Als studierter Biologe, Lehrer für Biologie und Chemie sowie Kommunikationswirt forscht und lehrt er im Fach Didaktik der Naturwissenschaften und fragt sich, was gestaltet werden muss, um auf diese skandinavischen Ergebnisse adäquat zu reagieren.

„Unsere App hat eine eigene Intelligenz.“

Kann die Insektenvielfalt gerettet werden, Herr Groß? „Kann sie, aber das geht nicht von heute auf morgen. Unsere Kinder müssen lernen, hinzugucken.“

Wie er ihnen das Hingucken beibringen will, erklärt er uns am Beispiel der Hummeln. Dabei macht er sich das digitale Momentum zunutze und kombiniert es mit der natürlichen menschlichen Neugier, wissen zu wollen, was um uns herumfliegt.

Und so hat er mit Doktoranden, Fachwissenschaftlern, Studierenden, kooperierenden Schulen, vielen Ehrenamtlichen sowie der Unterstützung von Stiftungen eine App zur Artbestimmung von Hummeln entwickelt. Zwei Umsetzungsansätze dominierten: „Der eine war, mit Fotos zu arbeiten, bei denen das Gerät die Art dann ausspuckt. Aber genau das wollten wir nicht. Wir wollten interessierte Menschen dabei unterstützen, genau hingucken zu lernen.“

Deshalb stellt die App ihren Nutzern Fragen nach bestimmten Merkmalen der Hummeln. Die Antworten werden dann mit einer eigenen Logik trianguliert. „Das heißt, unsere App hat wirklich eine eigene Intelligenz.“ Das Prinzip der App basiert auf einfachen Fragen: Guck doch mal, ob der Hinterleib rot ist. Guck doch mal, ob sie vorne Streifen hat. Sag mir mal, was du siehst.

„Das Entscheidende ist, dass wir die App mit Laien entwickelt haben.“

Auch bei mehrfach falschen Antworten ist die App in der Lage, die richtige Art zu bestimmen. Doch bis die richtige Art ermittelt ist, erfolgt immer wieder das Frage-Antwort-Spiel zwischen App und Nutzer. Groß ist von seiner App überzeugt: „Das Entscheidende ist, dass wir sie mit Laien entwickelt haben. Schülerinnen sollten uns sagen, worauf sie bei Hummeln achten. Und dies floss in die Datenbank mit ein.“

„Wir wollten auf die Smartphones der Schüler kommen.“

Warum eine App? Die Bestandssituation der Hummeln ist wirklich dramatisch. Viele Arten sind ausgestorben beziehungsweise sind davon bedroht. Groß findet, dass Laien über ihr digitales Nutzungsverhalten zum Mitmachen aufgefordert werden können: „Artbestimmung gilt für Jugendliche als langweilig und schwierig. Sie besitzen aber eine hohe Affinität zu digitalen Medien. Unser Ziel war es daher, auf die Smartphones der Schülerinnen zu kommen.“

Hier kann man sich die App herunterladen: Apple-Download oder Google-Play.

Dabei hat er noch nicht mal hoch gepokert, denn die Smartphone-Verbreitung unter Gymnasiasten liege bei nahezu 100 Prozent, bei Viertklässlern bei rund 70 Prozent. Seine Strategie scheint aufgegangen zu sein.

Groß ist ein Optimist. Erschreckend war für ihn zwar festzustellen, wie wenig die Kinder von Hummeln wissen. Aber es sei nicht so, dass die Kinder so naturfremd sind, wie man ihnen unterstellt.

Und dennoch können wir sagen, dass unsere Bemühungen auch irgendwie absurd sind. Zuerst zerstören wir durch unser Konsumverhalten die Lebensräume der Hummeln. Und dann versuchen wir, alles rückgängig zu machen, indem wir viel Geld in digitale Projekte investieren, um Laien altes Naturwissen zurück zu vermitteln. Denn wahrscheinlich wird Lebensraum auch zerstört, wenn diese Geräte, die der Wissensvermittlung dienen, produziert und entsorgt werden.

Herr Groß, was sagen Sie dazu? „So könnte man das tatsächlich ketzerisch feststellen. Natürlich verursacht unser Konsum großen Schaden. Wenn wir uns allerdings mit einer Artengruppe wie den Hummeln beschäftigen, müssen wir das ein bisschen relativieren.“

Warum? „Der Rückgang der Insekten oder insbesondere der Artengruppe Hummeln ist darauf zurückzuführen, dass wir deren Lebensraum zerstören. Die Tiere haben keine Nahrungsgrundlage mehr. Hinzu kommt eine hohe Pestizidbelastung durch die Landwirtschaft. Zu den Smartphones sehe ich da erst einmal keinen direkten Zusammenhang.

Leugnen kann man aber nicht, dass Sie elektronische Geräte nutzen, die umweltbelastend sind. „Das stimmt. Unsere App soll auch nicht zum Kauf der Geräte animieren. Vielmehr wollen wir Nutzern mit vorhandenen Geräten einen sinnvollen Einsatz aufzeigen. Wir achten bei den Systemen deshalb sehr darauf, dass keine zusätzliche Belastung entsteht. Die Nutzung digitaler Medien an sich ist kaum umweltzerstörend, wohl aber die Herstellung der Geräte.“

Wie gehen Sie damit um? „Wir achten einerseits darauf, dass die Software, die wir entwickeln, auch auf älteren Geräten läuft. Man muss sich nicht unbedingt ein neues anschaffen. Und wir haben das System auch auf eine Webplattform gesetzt, sodass man eben nicht zwingend auf ein Smartphone angewiesen ist.“

Was ist für Sie Umweltschutz der Zukunft? „Das ist der Geist des Mitmachens. Alle müssen helfen, nicht nur Fachleute und Umweltverbände, auch Bürgerinnen, Schüler und alle anderen Laien sind gefragt. Wir arbeiten gerade daran, zusammen mit den großen Naturschutzvereinen eine Webapplikation zur Bestandsaufnahme zu nutzen. Mit einem Klick kann jeder melden, wo Hummeln vorkommen und wo nicht (mehr).“

Dann sind wir nicht mehr auf skandinavische Wissenschaftler angewiesen? „Hummeln fliegen und kennen keine Landesgrenzen. Hieran sieht man deutlich, dass Naturschutz auch global gedacht werden muss. Wir sollten enger zusammenarbeiten, dabei können digitale Medien helfen. Man kann zum Beispiel seltene Hummelarten auf unserer Website melden und so für alle sichtbar machen. Diese Daten können dann eine Entscheidungsgrundlage für Landschafts- und Umweltgestaltung oder auch Naturschutzprojekte sein. Wir nutzen also ein bestehendes System und setzen auf das Mitmachen. Das ist meiner Meinung nach Umweltschutz der Zukunft.“

Naturliebhaber Prof. Groß mit Papageien Foto Copyright by Jorge Groß
Naturliebhaber Prof. Groß mit Papageien Foto Copyright by Jorge Groß