Ulf Merbold Interview

*Nachfolgender Text stammt aus: Flug in All, Ulf Merbold, Gustav Lübbe Verlag, Jubiläumsausgabe 1988, Seiten 120-123. Er dient als Ergänzung zum Porträt und Gespräch mit Ulf Merbold „Forschungssubjekt“.

An meinem zweiten Arbeitstag im Spacelab begann ich mit dem einzigen Technologieexperiment des Fluges. Dieses stammte aus dem Bereich der Tribologie, der Wissenschaft von der Schmierung. Es ging darum, grundlegende Dinge über die Schmierung von Lagern in Erfahrung zu bringen. Wir hatten dazu eine besondere Versuchsanordnung: zwei Lagerschalen aus Plexiglas, in denen eine Achse aus Metall lief.

Ulf Merbold, 1983

Auf der Achse saß ein Schwungrad. Sobald ein Elektromotor das Schwungrad auf eine Drehgeschwindigkeit von 600 U/min. gebracht hatte, wurde er abgestellt, so dass es frei laufen konnte. Auf die Achse war zuvor Öl aufgebracht worden. Ein Kamerasystem machte mit der Hilfe von Blitzlicht sehr viele Bilder, um zu dokumentieren, wie sich der Ölfilm in dem Plexiglas verhielt. Insgesamt hatten wir drei solcher Lager an Bord.

Die Theorie besagt, daß ein Ölfilm in einem Lager immer dorthin geht, wo der Spalt zwischen der Achse und der Lagerschale am schmalsten ist. Das ist ein Verhalten, das man zunächst nicht erwarten würde. Nach kurzem Nachdenken ist es aber nicht verwunderlich, denn Öl folgt der Kapillarkraft, einer Kraft die in schmalen Röhren oder sonstigen engen Zwischenräumen auf Flüssigkeiten – auch entgegen der Schwerkraft – wirkt. Dieses Verhalten des Oles ist für Lager aller Art ideal. Denn wenn das Öl dorthin geht, wo am wenigsten Raum zwischen Achse und Lagerschale ist, dann bedeutet das nichts anderes, als dass es gerade dort besonders gut schmiert, wo die Achse auf die Lagerschale drückt. Das ist letztlich der Grund dafür, dass ein gut geschmiertes Lager viele, viele hundert Betriebsstunden laufen kann, ohne dass es zu einem nennenswerten Abrieb kommt. Bei unserem Experiment ging es nun um die Frage, ob sich der Ölfilm in der Schwerelosigkeit genauso verhielt.

Durch das Aufbringen eines Gewichtes auf die Achse konnte eine Unwucht hergestellt, durch die das Lager künstlich belastet
wurde. Zu diesem Experiment gehörte auch noch ein anderer
Versuch. Es sollte herausgefunden werden, wie sich Öl überhaupt in der Schwerelosigkeit ausbreitet. Dazu führten wir Reservoire mit verschiedenen Arten von Öl mit. Das waren kleine Zylinder mit einem Kolben, etwa so konstruiert wie eine normale Injektionsspritze. Der Kolben ließ sich über einen kleinen Motor sehr exakt bewegen.

Wie bei einer Spritze wurde dabei Öl herausgepresst. Über der Ausflussöffnung saßen kleine, ganz glatt polierte Metallflächen, etwa so groß wie ein Fünfpfennigstück. In der Mitte der Metallfläche befand sich ein kleines Loch, aus dem das Öl austrat. Das eigentliche Experiment bestand nun darin, zu beobachten, wie sich das Öl über die glatte Metalloberfläche verteilte. Hier oben spielte ja das Gewicht keine Rolle mehr und deshalb mussten allein Adhäsionskräfte und Oberflächenspannungen das Verhalten des Öles bestimmen. Am Boden waren diese Kräfte von der Schwerkraft überlagert. Bei ÖIen ist die Adhäsionskraft, also die anziehende Kraft zwischen der Flüssigkeit und in unserem Fall der Metalloberfläche meist größer als die Oberflächenspannung des Öls. Daher verteilen sich Ole in der Schwerelosigkeit meist über einen großen Teil der Metalloberfläche.

Ich schraubte also die kleinen Metallplatten fest. Dann schloss ich den Deckel des gesamten Experimentes. Und danach bat ich John Young, er solle den Shuttle so ruhig wie nur irgend möglich halten, also keine Lagersteuerdüsen zünden, damit keine Restbeschleunigung auftreten
konnte, die dann von sich aus die Bewegung des Öls beeinflusst hätte. Danach betätigte ich den Startschalter, und in diesem Moment drückten die Elektromotoren mit Hilfe des Kolbens eine vorher genau bestimmte Menge Öl auf das kleine Metallplättchen, In diesem Augenblick begann auch die Kamera zu laufen. Wir filmten also, wie das Öl herauskam und sich verteilte.

Dann musste ich nach Vorschrift sechs Minuten warten. In dieser Zeit wurden immer neue Bilder gemacht. Und danach, so nahm man an, sollte das Öl seinen Gleichgewichtszustand auf dem Metallplättchen gefunden haben. Dann änderte sich nichts mehr, und das Experiment war beendet – jedenfalls mit dem einen Metallplättchen. Ich habe praktisch immer nur den Endzustand zu Gesicht bekommen. Der Rest, die ganze dynamische Phase, war auf Film festgehalten. Denn das Experiment selbst lief in einer geschlossenen Apparatur ab. Es fiel mir auf, dass sich das Öl nicht immer über die ganze Oberfläche verteilt hatte. Zum Teil blieb außen ein trockener Rand.

Ich schraubte das alte mit Öl überzogene Plättchen heraus und brachte ein neues an, und das ganze Experiment wiederholte sich. Auf diese Weise studierten wir die verschiedensten Kombinationen aus Ölen und Metallen.
Das Ausbreitungsverhalten hing nämlich sowohl vom Öl als auch vom Metall ab. Ich probierte insgesamt nicht weniger als sechzehn verschiedene Öle aus. Schon dieses Experiment zeigt, dass ein Teil unserer Versuche sehr praxisnah war. Es liegt auf der Hand, dass derartige Versuche, die sich am Erdboden überhaupt nicht durchführen lassen, unter anderem auch für Mineralölfirmen von größtem Interesse sein müssen.