*Nachfolgender Text stammt aus: Flug in All, Ulf Merbold, Gustav Lübbe Verlag, Jubiläumsausgabe 1988, Seiten 258-262. Er dient als Ergänzung zum Porträt und Gespräch mit Ulf Merbold „Forschungssubjekt“.

Theoretisch konnten wir von Payload Specialists zu Mission Specialists aufrücken. Der Zutritt zur Kaste der Piloten blieb uns aber auch weiterhin verwehrt. Angesichts der Tatsache, dass der Shuttle auch militärisch genutzt wird, war dies ohnehin klar. Außerdem hatten die Amerikaner von Anfang an deutlich gemacht, dass nur amerikanische Staatsbürger den Raumtransporter fliegen dürften. Ohnehin wurde dabei die Qualifikation von Testpiloten gefordert, ehe das Training überhaupt begann.

Ulf Merbold, 1983

Und mit Testpiloten-Erfahrung konnte von uns ESA-Astronauten niemand aufwarten. Der dritte in unserem Bunde, der Schweizer Claude Nicollier, war in seinem Heimatland zumindest Düsenjägerpilot gewesen und kam der NASA-Forderung für Berufsastronauten damit noch am nächsten. Doch hatte er in dieser Richtung weder Chancen noch irgendwelche Ambitionen.

Daraufhin meldeten wir uns alle drei zur Mission-Specialist-Ausbildung an. Dahinter stand nicht nur der Wunsch, an mehr als einem Raumflug teilzunehmen. Es kam hinzu, dass nur der Missions-Spezialist berechtigt war, im Weltraum die Verantwortung für das Funktionieren des Spacelab zu übernehmen. Die Tatsache saß wie ein Stachel in unserem Fleisch, dass wir in Europa zwar das Labor gebaut hatten und es auch bezahlen durften, dass wir als Nutzlast-Spezialisten von der NASA aber als unqualifiziert angesehen wurden, das Gerät zu bedienen.

Dieses Ärgernis wollten wir beseitigen. Die NASA reagierte auf unsere Bewerbung und lud uns im Frühsommer 1980 zu einer gesundheitlichen Überprüfung ein. Dies war insofern überflüssiq, als wir ohnehin alle sechs Monate grundlegende medìzinische Untersuchungen über uns ergehen lassen mussten. In dieser Hinsicht brauchte ich nichts zu befürchten, da es nicht das geringste an meinem gesundheitlichen Zustand auszusetzen gab.

Allerdings hatte ich, wie sich erst später herausstellte, einen gravierenden Fehler gemacht. Sowohl der NASA als auch der ESA gegenüber war ich ganz ehrlich gewesen und hatte zu Protokoll gegeben, dass ich vor zwanzig Jahren einmal einen Harnleiterstein gehabt hatte. Das war nun aktenkundig.

Man muss aber wissen, dass die NASA, die erfolgreiche Weltraumadministration der Amerikaner, die von Europa aus gesehen immer wie eine Einheit erscheint, intern gar nicht so monolithisch ist. Eigentlich müsste man sogar sagen, dass es so etwas wie die NASA gar nicht gibt. Es gibt das Johnson Space Center mit seinen eigenen Interessen, mit seiner Strategie und Politik. Dann gibt es noch das Marshall Space Flight Center, das Goddard Center, das Jet Propulsion Laboratory und einige andere mehr.

Jedes dieser Zentren verfolgt seine eigenen Interessen und macht seine eigene Hauspolitik. Dabei zieht nicht immer jeder unbedingt am gleichen Strang. So ist für die Berufsastronauten, die den Shuttle fliegen, und die Missions-Spezialisten das Johnson Space Center in Houston zuständig, für die Payload Specialists (Nutzlast-Spezialisten) dagegen das Marshall Space Flight Center in Huntsville, Alabama.

Wir gewannen bald den Eindruck, dass viele Manager in Houston glaubten, auch ohne die Wissenschaftler aus Huntsville auskommen zu können. Außerdem fanden wir sehr schnell heraus, dass die Zusage, die der NASA-Chef Frosch an die ESA in Paris gemacht hatte, nicht überall bei der NASA auf Gegenliebe stieß. Ich sah meiner Untersuchung gelassen entgegen, da uns schon die ESA nach Kriterien untersucht hatte, die auch für die amerikanische Mission Specialists gelten sollten.

Um so mehr war ich entsetzt, als ich in Houston erfuhr, dass der kleine Stein, den ich als Jugendlicher gehabt hatte, plötzlich ein Hinderungsgrund sein sollte. Ich konnte es kaum glauben. Die Sache war im Herbst 1959 passiert, kurz vor meinem Abitur in der DDR. Wahrscheinlich hatte ich mir im Sommer beim Zelten an der Ostsee
eine schwere Erkältung zusammen mit einer Hamwegsinfektion zugezogen.

Doch das lag 1980 schon 21 Jahre zurück, und seitdem war kein Stein mehr aufgetreten. Ich war sehr empört; Am meisten ärgerte mich, dass die Episode mit dem Harnleiterstein sowohl der ESA wie auch der NASA längst bekannt war und dass ich trotzdem nach Houston zur Untersuchung geholt wurde. Man führte eine ganze Reihe zusätzlicher Untersuchungen durch und machte zum Beispiel viele Röntgenaufnahmen und arbeitete mit Kontrastmitteln, alles Dinge, die für den Organismus belastend waren. Das dauerte mehrere Tage.

Nachdem man nicht das geringste negative Ergebnis gefunden
hatte, ging die NASA dazu über, sich auf Formalien zu berufen. Nach unseren Konditionen, teilte mir die NASA mit, darf ein Mission Specialist nie einen Nierenstein gehabt haben. Ich empfand es als ein gehöriges Maß an Impertinenz, jemanden anreisen zu lassen, ihn von Kopf bis Fuß tagelang gründlich zu untersuchen, in der Hoffnung, dass man vielleicht einen Grund findet, ihn an einem Mission Specialist Training nicht teilnehmen zu lassen, und schließlich dann, nachdem man trotz aller Bemühungen nichts gefunden hatte, die Formalien, die schon lange vorher bekannt waren, hervorzuholen und einen mit Hilfe dieser bürokratischen Bestimmungen im nachhinein abzulehnen.

Durch diese Wendung geriet ich in eine schwierige Situation. Die NASA lehnte mich auf Grund des alten Steins als Missions-Spezialisten ab. Meine beiden Kollegen Wubbo Ockels und Claude Nicollier dagegen durften das Missions-Spezialisten-Training beginnen. So sah ich meine Aussichten, mit dem Spacelab in den Weltraum zu fliegen, langsam schwinden. Denn zweifellos waren Nicollier und Ockels dabei, sich zusätzlich zu qualifizieren.

Ich überlegte mir was zu tun sei, und entschloss mich, erst einmal die Blindflugausbildung zu absolvieren. Das war immer mein Ziel gewesen, aber ich hatte nie das Geld dazu gehabt. Jetzt war ich an einem Punkt angelangt, wo ich mir selbst neuen Auftrieb verschaffen musste. Im Herbst 1980 meldete ich mich bei einer Flugschule am Flughafen Köln-Bonn zur Blindflugschulung an. Vor allem arbeitete ich noch intensiver an den Spacelab-Experimenten weiter.

Dabei kam es mir zustatten, dass in vielen europäischen Labors die für den Flug bestimmten Instrumente fertiggestellt wurden. Sie wurden 1980 getestet, justiert und geeicht. Es schien mir am sinnvollsten zu sein, bei diesen Arbeiten intensiv mitzuwirken. Während Nicollier und Ockels bei der NASA trainierten, versuchte ich auf diese Weise, mir auf einem anderen Gebiet eine höhere Qualifikation zu erwerben.