
„Gern gesehen waren wir da nicht. Zum amerikanischen Fitness-Zentrum für Astronauten hatten wir Europäer gar keinen Zutritt“, so erinnert sich Ulf Merbold an seine Trainingszeit für den Flug ins All 1983. Er war der erste Deutsche, der als Wissenschaftler ausgesucht worden war, um mit den Amerikanern im Orbit zu forschen. Forschungszelle war das von den Europäern beigesteuerte Space Lab.
Ulf Merbold ist irgendwie zur Legende geworden. Es ist zwar still um ihn geworden, aber wenn er erzählt, scheint er gestern noch geshuttlet zu sein. 36 Jahre ist das jetzt schon her. „Sind Sie noch aktiv?“ „Nein, ich bin eigentlich raus. Wahrscheinlich werde ich zum 50-jährigen Mondlandejubiläum nochmal von der ESA reaktiviert“, lacht er und wirkt ein wenig melancholisch.
Ulf Merbold
Wer nur schaut, wie man aus Geld noch mehr Geld macht, hat einen völlig idiotischen Lebensinhalt. Denn Geld allein schafft ja gar keine Erkenntnisse. Aber die Raumfahrt für wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen ist für mich von bleibendem Wert.
„Darf man sagen, Sie haben Raumfahrtgeschichte geschrieben?“ „Mitgeschrieben, das darf man sagen.“ Trotz allem Pathos legt Merbold Wert darauf, dass er sich immer und stets als ein Dienstleister interpretiert habe. Ein Dienstleister der Wissenschaft; so sah er sich vornehmlich, weniger als ein ESA-Mitglied trotz Arbeitsvertrag.
Warum? Weil er als promovierter Physiker 10 lange Jahre vor seinem ersten Flug ins All beim Max-Planck-Institut als Wissenschaftler geforscht hatte. Das mit dem Astonautendasein habe er als eine Verlängerung seiner ohnehin angeborenen Erforschungssucht betrachtet, die er in einem Raum im Orbit dann habe ausleben können.

Als er das sagt, flattert ein schelmisches Lächeln über sein Gesicht. Wir stehen in seinem Wohnzimmer und schauen aus einer ausgedehnten Fensterfront auf Stuttgart. Ein kleiner Garten liegt unter des Betrachters Füßen. Diese hübsche Sicht auf die Stadt, in der viel zu viele Autos führen wie Merbold findet, mahnt ihn manches Mal an seine Lehren, die er aus seinen orbittenen Reisen gezogen habe:
„Die Raumfahrt hat uns beigebracht, und nur sie, dass die Erde selbst ein Raumschiff ist, aus dem wir nicht aussteigen können. Diese Bewusstseinserweiterung verdanken wir ihr. Denn auch wir Astronauten waren ja am Anfang nur irgendwelche Technokraten, die keine Ahnung hatten, wie unser Lebensraum aus dem All aussieht.“
Völlig idiotischer Lebensinhalt
Und deshalb findet er es gut, dass sich eine Gesellschaft Ausgaben gönne, die keine unmittelbare Geldvermehrung zur Folge hätten wie es der Raumfahrt immanent sei. „Wer nur schaut, wie man aus Geld noch mehr Geld macht, hat einen völlig idiotischen Lebensinhalt. Denn Geld allein schafft ja gar keine Erkenntnisse. Aber die Raumfahrt für wissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen ist für mich von bleibendem Wert. Der sich aber nie unmittelbar in Geld übersetzen lässt. Und das ist auch gut so.“
Und zu all dem hat Merbold beigetragen. Nicht aber die ESA, sondern die Experimentatoren selbst hatten ihn für diese Mission ausgesucht. Sie brauchten welche, die intellektuell in der Lage waren, ihnen zu folgen. „Ich musste mich ja erst mal mit der Terminologie beschäftigen. Es war sehr kompliziert,“ lacht er rückblickend.
Seine Trainings begannen damit, dass er und seine beiden Kollegen von einem wissenschaftlichen Labor zum nächsten fuhren, um sich haargenau die Anforderungen einzuprägen, die sie dann später im Shuttle nachzuvollziehen hatten. Ironischerweise begannen diese Trainings in vielen unterschiedlichen Seminarräumen auf der Erde als es das Space Lab noch gar nicht gab, nämlich fünf Jahre vor dessen Fertigstellung.
In seinem Buch Flug in All (Gustav Lübbe Verlag, Jubiläumsausgabe 1988) hat Merbold seine Forschungen dokumentiert. Hier geht es zu einigen Beispielen. Sie sind unverändert übernommen: Tribologie, Cogili’s Lymphozyten, Littke’s Kristalle.
„Wir mussten erst mal genau verstehen, was das betreffende Institut denn eigentlich herausfinden wollte. Und wir mussten kapieren, warum das betreffende Experiment im Weltraum und nicht in irgendeinem irdischen Labor gemacht werden musste.“ Merbold beschreibt diese Phase als die herausfordernste. „Denn wir studierten lediglich Ideen ein.“
Ulf Merbold, Thomas Reiter und Alexander Gerst, alle drei beschwören den Nutzen der Raumfahrt für die Menscheit. Schließlich hatten alle drei einmal eine aktive Rolle. Und auf der Suche nach diesem Nutzen ist erkennbar, dass sich eigentlich in den vergangenen 36 Jahren gar nicht so viel verändert hat. Nur die Plattform, sprich die ISS, ist eine andere. Doch auch die ist in die Jahre gekommen.
Merbold hat uns viele Beispiele genannt, die den Nutzen der Raumfahrt für die Menschheit beweisen. Aber vielleicht geht es gar nicht um diese kleinen Beweise, sondern um das große Ganze. „Die Raumfahrt hat den Erfahrungshorizont der Menschen erweitert. Wie wertvoll die Erde ist, haben wir erst durch sie erkannt. Es ist unsere ethische Pflicht, weiterhin darauf aufmerksam zu machen.“
Und heute? Heute steht auf dem Klavier von Merbolds in Stuttgart ein Shuttle-Modell, das an die guten alten Zeiten erinnert und daran, wie alles begann. „Ist ihnen ihre Berühmtheit nie zu Kopf gestiegen, Herr Merbold?“ Er lacht herzhaft und meint, das hätten andere zu beurteilen. Wenn man sich mit ihm unterhält, würde man meinen, sie sei es nicht.
Und dann macht er auf dem Weg zum Bahnhof Halt an einer Anhöhe, wir steigen aus und schauen nochmal auf die Stadt und philosophieren über das Göttliche. „Was denken Sie darüber?“ „Nicht viel. Es gab den Urknall. Da darf man sich schon mal fragen, was vor ihm war. Vielleicht gibt es diese Kraft, die alles antreibt. Nennen wir es wie wir wollen. Aber beweisen kann ich nicht, dass es diese Kraft nicht gibt.“
Wie auch immer man das nennt, Merbold scheint ein Bewahrer der Schöpfung zu sein. Er wollte dazu beitragen, dass die, die in 200 Jahren hier sind, dieselben Lebensumstände vorfinden werden, wie wir sie für uns heute in Anspruch nehmen. Und dafür solle man doch mal darüber nachdenken, ob es nicht geboten sei, unseren Komfort etwas zu reduzieren.
Welche Steine im Weg lagen, beschreibt Merbold in seinem Buch „Flug ins All“ in einer Episode.
Merbold hat übrigens noch immer die Verkehrspilotenlizenz. Er fliegt aber nicht heimlich Touristen bei der Lufthansa auf die Malediven oder sonst wohin. Bei dem Gedanken muss er wirklich lachen. Er könnte sich allerdings vorstellen, ähnlich wie die Space Cowboys, bei gegebener Mission wieder durchs All zu sausen. „Würden sie gerne nochmal?“ Der Realist und selbst zum Forschungssubjekt gewordene Merbold sagt: „ Aus diesem Alter bin ich raus.“ Und da ist es wieder dieses schlemische Lächeln: „Wenn ich könnte ja!“
Wieso Forschungssubjekt? Weil der Astronaut a.D. noch immer alle sechs Monate bei der ESA antanzen muss. Da wird er gemessen und gewogen und untersucht. „Die wollen noch immer wissen, wie sich die Schwerelosigkeit auf den Körper auswirkt.“ „Und, haben Sie Beschwerden?“ „Ich fühle mich sehr gut!“