Foto ©sakkmesterke - stock.adobe.com
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Wir sprachen mit dem MIR-und ISS-Astronauten über die aktuellen Mond-Ambitionen der Chinesen, der ESA und der NASA, über nichtterrestrisches Leben auf Exoplaneten und über seinen ISS-Außeneinsatz mit Blick ins All.

Es gibt Berufe, da sollte man sich trotz eines überwältigenden Ausblicks aus dem Fenster auf seine Arbeit konzentrieren. So sieht es Thomas Reiter – Astronaut auf Lebenszeit – und meint damit den seinen. Denn bei aller Schwärmerei für den Ausblick aus der ISS ins All und Umgebung, stehe die wissenschaftliche Arbeit immer im Vordergrund.

Schließlich seien die astronautischen Forscher nicht zum Vergnügen im All. Da war Thomas Reiter zwar schon lange nicht mehr. Doch als Koordinator für internationale Agenturen der ESA und als Berater ihres Generaldirektors ist er mittendrin im All-Geschehen.

Er begreift sich als Mitarbeiter einer völkerverständigenden Organisation. Das ist für ihn einer der bedeutendsten Aspekte bei der Raumfahrt. Ohne gemeinsames Handeln ginge das alles nicht. Auch die aktuellen Mondambitionen der ESA und der NASA sind von gemeinsamem Handeln abhängig.

Herr Reiter, chinesisches Gerät ist ja unlängst auf dem Mond gelandet. Warum rückt der Trabant auch für die ESA und NASA wieder ins Zentrum ihres Interesses – Wettbewerb? Was die können, können wir auch? Um Gottes Willen, ein solcher Grund wäre fatal. Der Mond ist für die Forschung aus vielerlei Hinsicht interessant. Als „Geschichtsbuch“ ist er für die Planetenerforschung wichtig. Aber auch zum Schutz vor großen Gesteinsbrocken, die auf die Erde treffen können wie 2013 in Tscheljabinsk, kann er als Beobachtungs- und Ablenkungsplattform dienen.“ 

Und das Wasser – spielt das für Sie auch eine Rolle? Ja natürlich! Dies könnte möglicherweise in ferner Zukunft zur Versorgung einer Mondstation und zur Gewinnung von Treibstoff genutzt werden. Auf dem Mond finden sich übrigens auch andere Ressourcen, zum Beispiel Seltene Erden. Auch sie rechtfertigen unser erneutes Interesse. Bis hin zu solch exotischen Vorstellungen wie Helium-3 auf dem Mond zu fördern – theoretisch – wohlgemerkt. Das ist wirklich noch fernste Zukunft.“

Doch weniger visionär sei, die abgewandte Seite des Mondes für die Radioastronomie zu nutzen. Von da könne man nämlich ungestört in die Tiefen des Weltraums schauen.  

Und man könnte von dort aus auch weiter ins Sonnensystem starten. Um möglicherweise außerirdische Lebensformen zu entdecken? „Ja, mit einem Sechstel der Schwerkraft im Vergleich zur Erde bietet der Mond als Startplatz einen großen Vorteil.“

Doch bezüglich Außerirdischer ist Reiter ganz Wissenschaftler und Realist und beteiligt sich nicht an wilden Theorien.

Dennoch interessiert mich die Frage, ob es Leben außerhalb der Erde gibt, enorm.

Und der Nachweis von primitivem (darauf legt er Wert) Leben könne sogar in nicht allzu ferner Zukunft auf dem Mars erbracht werden. Viele Indizien sprächen dafür, dass es auf dem Mars einmal Leben gegeben hat oder vielleicht sogar noch gibt. „Aber es sind nur Indizien, kein Nachweis“, und verweist auf das Methan in der Marsatmosphäre. 2020 will man mit einem Rover der ESA Bodenproben entnehmen, um des Gases Ursprung genauer zu ergründen. „Vielleicht können wir dann die Existenz von primitiven Lebensformen nachweisen.“

Foto © juergenmai.com
Thomas Reiter (Foto © juergenmai.com)

Um nichtterrestrisches Leben in den Tiefen unserer Galaxie zu erkennen, müssten erst neue bildgebende Möglichkeiten entwickelt werden. Ähnlich wie es bei der Entdeckung der Exoplaneten war. „Man vermutete ja schon vor vielen Jahrzehnten, dass es Exoplaneten gebe. Aber erst jetzt können wir sie nachweisen, weil wir die entsprechenden Geräte haben. Und mit den Fragen nach möglichem Leben auf diesen Exoplaneten wird es genauso sein, denke ich.“

Frieden leben – Beim europäischen Weltraumprogramm und der internationalen Zusammenarbeit in der Raumfahrt geht es nicht nur darum, die finanziellen Belastungen für die einzelnen zu verringern. Wichtiger, wenn nicht das wichtigste, ist hierbei auch der Aspekt der Völkerverständigung. Das ist leider nicht selbstverständlich. Das kann morgen schon ganz anders sein. Und wir betrachten das auch ein wenig mit Sorge. An Bord der Raumstation verfolgen mehr als 100 Länder gemeinsame Ziele. Die Mosaiksteinchen wissenschaftlicher Erkenntnisse sind nicht proprietär. Und das ist ein ganz wichtiger Aspekt der Raumfahrt. Unsere Ziele dienen allen gleichermaßen.

Also „nur“ eine Frage von besseren Sensoren, um sehen zu können, wofür wir noch blind sind? Wie auch immer – er schließt das Thema nett und verbindend ab: „Ich kann mir aus statistischer Sicht nicht vorstellen, dass in den Weiten des Universums mit seinen Abermilliarden Sternen und noch viel mehr Planeten nicht irgendwo auch Leben existiert, auch intelligentes Leben.“ Wenn wir bei den Geräten und Maschinen bleiben, die wir haben, um Weltraumforschung zu betreiben, sind wir natürlich unweigerlich wieder zum Anfang unseres Gesprächs mit Thomas Reiter zurückgekommen. Denn Ausgangspunkt von aller Weltraumforschung und -fahrt ist bis jetzt noch die ISS. Reiter war zwei Mal im All – einmal an Bord der russischen Raumstation MIR und einmal auf der ISS. Und muss, wie gesagt, sparsam schwärmen. Doch selbst bei seiner Sparsamkeit hört man seine leidenschaftliche Begeisterung heraus, die sein Leben nachhaltig geprägt habe.

„Ich kann verstehen, dass man auf die Idee kommen könnte: Die schwärmen immer von den tollen Ausblicken –  was machen die da eigentlich?“ Tja, und was wäre das, Herr Reiter? Was bringen sie den auf dem Boden Gebliebenen mit?

Und dann zählt Herr Reiter ein paar Aspekte auf, die selbstredend sehr beeindruckend sind. Denen wir keine Beteiligung von Schwerelosigkeit zugewiesen hätten, hätte Herr Reiter uns nicht aufgeklärt. Doch ebenso interessant ist seine Haltung auf der Metaebene zu dieser Frage. „Wir schreien da oben nicht alle zwei Tage HEUREKA – so ist es ehrlicherweise nicht.“

Seine Ehrlichkeit ist beruhigend. Denn wir waren geneigt zu glauben, ein Dienst an der Menschheit jage den anderen dort oben auf der ISS. Aber Reiter ist weit entfernt von Überheblichkeit oder öffentlichkeitswirksamen Parolen. Er ist einer, der immer in dem Bewusstsein redet, dass er Glück gehabt hatte. Schließlich wurde er beim ersten Anlauf abgelehnt, damals 1986. Hochgeschossen wurde er erst neun Jahre später 1995. Seine Expertise als Pilot grätschte ihm bei der ersten Auswahlrunde  dazwischen. Man brauchte für die deutsche D2-Mission Wissenschaftler und keine Flieger. Erst das europäische Hermes-Programm brauchte so jemanden wie ihn.

Und wie wars so? „Der Ausblick auf die Erde hinterlässt einen lebenslangen Eindruck. Mit eigenen Augen zu sehen, wie verloren die Erde in der tiefen Schwärze des Weltraums schwebt, macht demütig. Aber der Außeneinsatz ist emotional nochmals eine Steigerung. Man kann dem Weltraum ja nicht näher kommen. Ein absoluter Höhepunkt. Raus zu gehen und in einer lebensfeindlichen Umgebung zu schweben außerhalb des Raumschiffes. Zu wissen, dass man mit fast 28.000 km/h über die Kontinente saust, bleibt unvergesslich. Und vor allem, als ich mich mit meinem Rücken zur ISS gedreht hatte. Da sah ich keine Behausung mehr. Rein emotional war das ein absoluter Höhepunkt. Man fragt sich am nächsten morgen, ob man das nur geträumt hat. Es war sehr überwältigend.“

Vielen herzlichen Dank, Herr Reiter!

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