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Äthiopien - Reise mit Menschen für Menschen Foto© alisseja - stock.adobe.com

Robotereinsatz im Gesundheitswesen als Alternative zum Pflegenotstand? Wo stehen wir da, Herr Dr. Rainer Wieching? „Der Begriff Roboterpflege ist eigentlich falsch für das, was Roboter in der Pflege zur Zeit leisten können. Denn noch gehören rein pflegerische Tätigkeiten nicht zum Repertoire von Robotern. Mit Pflege sind hier Tätigkeiten wie kämmen, waschen oder füttern gemeint“, antwortet der Bereichsleiter Gesundheit und Prävention an der Universität Siegen.

Hier geht es zur englischen Version des Artikels.

Alles in allem: Er zeigt sich vorsichtig optimistisch, wenn es um den Robotereinsatz geht. Doch abstreiten will er nicht, dass Roboter irgendwann in der Zukunft sogar auch pflegen können. Aber so weit seien wir derzeit noch nicht.

Dennoch sagt er, dass unsere Gesellschaften den zukünftigen Notstand in der Pflege nicht ohne Digitalisierungshilfen wie zum Beispiel mit Robotern werden überwinden können. Wo sehen Sie also derzeit den Nutzen dieser emotionslosen Helferlein, Herr Wieching? „Im Bereich der Aktivierung von Pflegeheimbewohnern, sei es geistiger oder physischer Natur.“

Damit meint er, dass Roboter die Pflegebedürftigen und Pflegefachkräfte durchaus bei der Durchführung von Präventionstätigkeiten unterstützen können. Senior-innen könnten mit ihnen auf einem guten Aktivitätsniveau gehalten werden. Wieching denkt weiter: Er glaubt, dass die Geräte Aspekte der psychosozialen Aktivierung mit unterstützen können.

Das funktioniert aber nur in Gruppenarbeit mit einem Betreuer gemeinsam. Er weist dem Roboter dann einen integrativen Charakter zu und kategorisiert ihn in diesem und nur in diesem Sinne als eine Bereicherung. „Unser Roboter Pepper kann beispielsweise alte Lieder abspielen und durch seine Körperlichkeit zur Bewegung in der Gruppe animieren. Die älteren Menschen werden dann nachweislich aktiviert und empfinden gemeinsame Freude.“

Und genau darin liege seiner Meinung nach der große Vorteil der Roboter. Weil nun das Fachpersonal wie Physiotherapeuten wieder mehr Freiheit hätten, sich um diejenigen zu kümmern, die sehr intensive Zuwendung bräuchten. Die also, die auf den Menschzumenschkontakt angewiesen seien. Das komme derzeit leider viel zu kurz.

Rainer Wieching entwickelt an der Universität Siegen Software und Apps für die Pflegeroboter von Morgen. Er betrachtet das Thema aus der Sicht eines Wissenschaftlers und hat demzufolge alle Disziplinen im Blick. So weiß er, dass bei der Entwicklung von Inhalten und Verhaltensweisen für den Roboter immer ein partizipativer Ansatz zu wählen ist.

Die Nutzer und späteren Anwender müssen immer miteinbezogen werden.

„Wir müssen immer bedenken, dass Menschen mit von der Partie sind. Denn nicht nur die Pflegebedürftigen sind Anwender, sondern auch die Pflegekräfte, die Betreuerinnen oder Hauswirtschaftlerinnen.“ Deshalb werden zuallererst sie nach ihren Bedürfnissen gefragt. Schließlich sollen alle im täglichen Leben gemeinsam zurecht kommen.

Alltagstauglichkeit ist wichtig, bei aller Euphorie für die technischen Möglichkeiten. Entscheidend ist, dass der Roboter in den Alltag passt und die Menschen wirklich unterstützt. Wieching findet, dass es nicht viele Institute und Forschungseinrichtungen gibt, die die Alltagstauglichkeit im Auge behalten.

Ein Greifarm, der die Essensaufnahme unterstützt, sei ein Beispiel für Nicht-Alltagstauglichkeit. Was sich technisch realisieren lässt, ist gegebenenfalls von geringem Nutzen oder wird nicht akzeptiert.

Perspektivisch müssen vor allem die jungen Menschen, wie Pflegeschüler-innen bei der Entwicklung miteinbezogen werden. Schließlich sind sie es, die die Roboter in Zukunft brauchen werden. Ihre Kreativität ist deshalb unverzichtbar.

„Wir müssen uns aber auch die Pflegeausbildung anschauen. Das Thema Digitalisierung oder gar Roboter ist dort leider nicht integriert. Jeder fordert das zwar, doch es ist bisher nichts passiert.“


Die Pflegeausbildung braucht ein völlig neues Profil.

Weiterbildung und Ausbildung sind zu renovieren. An dieser Stelle zu sparen, wäre die falsche Entscheidung. „Weiterhin muss es in Zukunft einen Personalschlüssel geben, der sicherstellt, dass durch Digitalisierung oder Robotik gewonnene Freiräume nicht direkt wieder wegrationalisiert werden. Das Thema Robotik (in der Pflege) wird uns in Zukunft überrollen, wenn wir es jetzt nicht mitgestalten.“

Apropos Mitgestalten: Wieching legt großen Wert darauf, dass die Angehörigen und die Pflegebedürftigen zusammen entscheiden, ob ein Roboter zum Einsatz kommen soll oder nicht. Es dürfe nie so sein, dass im Pflegeheim der Zukunft ein Roboter ungefragt auf jemanden zugerollt kommt. Wenn der Mensch das nicht will, muss dieser Wunsch berücksichtigt werden. Die Entscheidung liegt bei jedem einzelnen. Und in der Zukunft, wenn immer mehr Maschinen in die Wertschöpfungsprozesse involviert werden, „müssen wir über Sozialabgaben und Steuern für Maschinen reden, um auch die Sozialsysteme für uns Menschen am Leben zu erhalten.“