Fotorecht liegt bei Redaktion
Fotorecht liegt bei Redaktion

„Hat Äthiopien ein Problem mit zu wenig Wasser?“, fragen wir Muluneh, unseren äthiopischen Übersetzer und den studierten Journalist, als wir uns beim Ministerium für Information, Kommunikation und Technologie in Addis Abeba akkreditieren. Es ist morgens kurz nach neun Uhr. „Nein“, sagt er. „Äthiopien hat kein Problem mit der Menge des Wassers. Wir haben ein Problem mit seiner Reinheit. Die Menschen werden krank davon. Das ist unser Problem in Sachen Wasser.“

Karlheinz Böhm’s Äthiopienhilfe Menschen für Menschen (MfM) hat uns eingeladen, mit ihnen eine Woche lang auf Projektbesichtigung zu gehen. Vor uns liegen 1.500 Kilometer Abenteuer in einem Land mit berauschender Natur am Horn von Afrika.

Auf dem Parkplatz vor dem Ministerium steht der Geländewagen und wartet auf uns. In diesem Wagen sitzen Erich Jeske, Henning Neuhaus, unser Fahrer Akile und der Fotograf Tesfay. Mekane Selam ist Ziel Nummer eins, gelegen in der Region Borena.

Erich Jeske und Henning Neuhaus sind PR-Profis. Ihre Aufgabe: Journalist-innen, Großspender-innen und Partner-innen aus Deutschland die Arbeit der Stiftung vor Ort in Äthiopien zu zeigen. Jeske arbeitet ehrenamtlich von Deutschland, MfM-Mitarbeiter Neuhaus von Addis aus. Der eine ist Kuratoriumsmitglied der Stiftung und war und ist ein guter Freund von Karlheinz Böhm und seiner Frau. Der andere, ein studierter Ethnologe, ist mit seinen Ende 20 schon ein ganz passabler Afrikakenner.

Was haben die beiden mit uns vor? 

Wir sollen anhand von Brunnen-, Schul- und Green-Innovation-Center-Projekten lernen, wie die Stiftung arbeitet. Ihr Grundprinzip teilt sich grob in drei Säulen auf und lässt sich am besten mit dem Begriff Entwicklungszusammenarbeit umreißen.

1. Säule: Die Menschen müssen die Veränderung in ihrer Lebensumgebung wollen. 2. Säule: Die Menschen müssen einverstanden sein, sich selbst zu helfen. 3. Säule: Die Stiftung beginnt auf Anfrage der lokalen Behörden mit Projekten und sieht sich also als Impulsgeber und Infrastrukturbereitsteller, aber nicht als umsetzende Kraft.

Es sind immer die lokalen Behörden, die den Kontakt zu den Menschen herstellen, um in einem Assessment mit ihnen deren Bereitschaft zum dauerhaften Mitmachen zu ermitteln – nicht die Stiftung. Wenn die Bereitschaft stimmt, geht’s los.

Ein modelfarmer und eine 2-Euro-Dusche

Und so lief es beim modelfarmer Atifeya (Kunstname) in der Region Borena ab. Hier ist die Stiftung seit 2011 mit 53 Mitarbeiter-innen und unterstützt seit nunmehr acht Jahren 180.000 Menschen mit rund 800.000 Euro – in keinem Projektgebiet genießen so viele Menschen die Hilfe von MfM im Bereich integrierter ländlicher Entwicklungsprojekte. In Ginde Beret beispielsweise sind es 130.000 Menschen bei einem Engagement von mehr als 1 Million Euro, laut MfM-Geschäftsbericht 2017. Oder in Dano wenden sie 1,7 Millionen Euro auf für 114.000 Menschen.

„Atifeya, was hat sich verändert seit Sie modelfarmer sind?“, fragen wir. Er antwortet mit Bedacht. Dabei sitzt er auf der Schwelle des Ein- und Ausgangs seines Hauses aus Kuhdung. Die Sonne scheint ihn von hinten an. Deshalb sehen wir ihn schlecht, aber wir hören ihn umso besser als er von durchweg Positivem berichtet.

Atifeya mit seiner Frau (vorne), Schwiegermutter (hinten) und Tochter

Ebenso tut dies seine 71 jährigen Schwiegermutter, die uns im Haus gegenübersitzt. Sie habe viele Dinge gelernt, wie beispielsweise ihr Leben als Bäuerin hygienischer und ertragreicher werden zu lassen. Und ihre Tochter, Atifeyas Frau? Auch sie berichtet nur gutes, schließlich könne sie sich jetzt auf ein gewisses Einkommen verlassen und ihrer 11-jährigen Tochter eine gute Schulbildung sichern. Und die will Ärztin werden. „Meine vier Brüder sind stolz auf mich“, berichtet sie schüchtern an den Arm der Mutter gekuschelt.

Als modelfarmer hat sich Atifeya bereit erklärt, seine Bauernkollegen anzuspornen, ebenfalls wie er effizienter zu wirtschaften und neue Produkte wie Karotten, Äpfel oder Kohl im Anbau auszuprobieren. Wenn man ihn so auf dem Boden außerhalb seiner Hütte sitzen sieht, wirken die Worte fremd, aber er lacht und sei dankbar.

Dass es ihm und seiner Familie besser geht seit sich MfM engagiert, können wir dann rund 10 Meter hinter dem Haus sehen. Hier steht eine so genannte 2-Euro-Dusche. Die Duschkabine besteht aus etwas Wellblech, Dung und Erde und das Wasser kommt aus einem 25 Liter-Kanister, der irgendwie oben mit Eukalyptusholz festgehalten wird. Weil der Duschkopf zwei Euro koste, erklärt Jeske, heiße die Dusche im Fachjargon so.

2-Euro-Dusche

Offensichtlich hat Äthiopien in der Tat kein Wassermengenproblem. Denn das Wasser plätschert zur Demonstration munter und hinunter in den kargen Boden und versickert dort; wie es scheint, nur für unsere Fotos. „Kann man denn keine ordentliche Duschkabine montieren?“, wollen wir wissen. „Nein“. Das sei nicht landestypisch. Es bringe nichts, Technologie zu installieren, die im Zweifel ersatzteillos bliebe.

Wir haben den Eindruck, als wüsste die Familie nach so vielen Monaten 2-Euro-Dusche aber noch immer nichts mit ihr anzufangen. „Brauchen Sie das Ding?“, fragen wir Atifeyas Frau. Sie wackelt unschlüssig mit ihrem Kopf und schiebt uns lieber in ihre Küche mit der Feuerstelle. Und jetzt ist sie in ihrem Element.

Auch ihre Sozialarbeiterin Asegedech ist übrigens dabei. Von ihr lernt sie – grob gesprochen – die neuen Standards: Geldsparen, effizient Wirtschaften, neue Rezepte mit neuem Gemüse wie Rote Beete kochen, Gleichberechtigung, Putzen, Stallhaltung, Körperhygiene und Händewaschen. Sprich, sie lernt die europäische Lebenslust.

Mikrokredite und Nafisa’s Cafe

Und wir denken plötzlich weiter. Denken an Kohl und Gemüse und dann an die Äpfel und fragen: „Warum müssen die Menschen denn eigentlich Äpfel anbauen in einem Land, in dem der Apfel fremd zu sein scheint?“ Jeske sagt, das sei gesünder und nahrhafter als die traditionellen Produkte. Es würde ihren Speiseplan bereichern. Denn der Apfel habe ja viele Vitamine. Gott sei Dank sagt Jeske nicht: one apple a day, keeps the doctor away. Das sagt er zum Glück nicht, aber der Satz gespenstert dann auf unserer Weiterfahrt durch den Raum des Geländewagens.

Wir verlassen die drei nach zwei Stunden und besuchen dann Nafisa. Nafisa ist ein Symbol. Nafisa steht für Viele und vieles. Auf 2.800 Meter Höhe über Null hat sie nämlich ein Cafe gegründet mit Hilfe des Mikrokreditprogramms, unterstützt durch MfM.

Menschen für Menschen will in Äthiopien helfen, die Frauen zu emanzipieren. Und eines Ihrer Instrumente sind Mikrokredite.

Frauen an die Macht

Weltweit bekannte Prinzipien finden also auch bei MfM Anwendung. A) Sie werden nur an Frauen vergeben B) Mehrere Frauen müssen sich zusammenschließen C) Sie bürgen füreinander und erzeugen somit Gruppenzwang. MfM steht mittels Sozialarbeiterin in engem Kontakt mit den Kreditnehmerinnen, die sie beraten und sie lehren: Buchführung oder Business Pläne erstellen.

Mikrokredite – ein salbendes Heilmittel für die Armen? Wohl ja! Laut MfM profitieren bereits 28.000 Frauen von MfM-vermittelten Mikrokrediten. Eine von ihnen ist Nafisa. Auch sie wurde von den lokalen Behörden ausgesucht, weil sie bitterarm war. Ihr Leidensweg begann in Äthiopien, führte über Saudi-Arabien und wieder nach Mekane Selam in Äthiopien zurück. Nafisas Plan: Sie will mindestens noch zwei weitere Cafes eröffnen. Und sie will ein eigenes Haus bauen. Hoffentlich gehört Nafisa zu den fünf Prozent der Mikrokreditnehmerinnen, die auch Einkommen aus ihrem Unternehmen beziehen können, um die Pläne umzusetzen.

Nafisas Cafe

Es heißt ja, dass Mikrokreditnehmerinnen viel arbeiteten, aber nicht mehr verdienen (Quelle: Spiegel.deMax-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung). Mit dem erwirtschafteten Geld tilgten sie nur ihre Schulden, so heißt es. Wie auch immer: Jetzt jedenfalls bietet Nafisa erst einmal allerlei Leckereien an. Auch Weihrauch, der vorzüglich riecht. Während sie uns von ihrem Schicksal und ihren Plänen erzählt, trinken wir ihren Kaffee und knabbern Popcorn. Die Sozialarbeiterin Asegedech ist auch dabei – Nafisa wird von ihr betreut.

Schuldirektor Abebe Ayalew und seine 3 Schülerinnen

Frauen an die Macht – Das scheint das geheime Credo von MfM zu sein. Und so nimmt es nicht wunders, dass wir als nächstes eine Schule besuchen und die Gelegenheit bekommen, mit drei 13-jährigen Schülerinnen zu sprechen, samt Direktor Abebe Ayalew.

Schuldirektor Ayalew

Wir fahren nach Dabat zu einer von 435 Schulen, die die Stiftung bis jetzt gebaut hat (Geschäftsbericht 2017). Mit gutem Ergebnis – zumindest für die drei Schülerinnen.

Die trauen sich durchaus Berufe wie Englischlehrerin, Elektrotechnikerin und Ärztin zu. Sie wollen nicht Bäuerin oder Mutter und Ehefrau werden. Ihr Schulleiter lächelt sie zufrieden an, als sie uns von ihren Plänen berichten.

Der Spendenmonitor und wie es weitergeht

Gründervater Böhm scheint übrigens immer noch über allen Projekten zu schweben. Und daran soll auch festgehalten werden, betonen Jeske und Neuhaus. „Wo sehen Sie die Stiftung in fünf Jahren, Herr Jeske?“ Eine berechtigte Frage, schließlich würden – so der Spendenmonitor 2018 nur 2,1 Prozent der Deutschen dieser Stiftung ihr Geld spenden, wenn sie 500 Euro übrig hätten. Jeske ist zuversichtlich: „In gesicherten Bahnen – nach wie vor.“ Kollege Neuhaus stimmt ihm zu. „Wenngleich wir uns erweitern müssen“, schieben beide hinterher. Was sie genau damit meinen, erklären sie nicht.

Aber wahrscheinlich liegen beide richtig mit ihrer Annahme, denn der Ruf der Stiftung ist gut: 67 Prozent von diesen obigen 2,1 Prozent finden, dass die Stiftung viel bewirkt und 51 Prozent glauben, dass sie sorgfältig mit den Spenden umgeht. Das findet auch Alisa Kaps, die Ressortleiterin Internationale Demografie beim Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: „MfM sind meiner Erfahrung nach sehr engagiert und wir glauben auch, dass deren Ansätze die richtigen sind. Wir können zwar nicht sagen, wie groß ihre Wirkung im Land ist, aber sie leisten sehr gute Arbeit.“

Das Karlheinz Böhm Denkmal in Addis Abeba

Fluchtursachen und Jugendarbeitslosigkeit

Was Neuhaus und Jeske also mit Erweiterung angesprochen haben könnten, zeigt sich indirekt als wir in der Region Dano das so genannte Green Innovation Center besuchen. Hier sprechen wir mit Demere Anno, dem äthiopischen Projektmanager. Er arbeitet schon mehr als 25 Jahre für MfM. Wenn er mit dem Erzählen beginnt, kleben wir an seinen Lippen und sind erstaunt über seine ehrlich nüchterne Sicht auf die Dinge: „Wir helfen den lokalen Behörden, landwirtschaftliche Kooperativen zu bilden, um Jugendarbeitslosigkeit in der Region zu bekämpfen. Das ist neu für uns. Das Geld in Form von Krediten für die Kooperativen kommt von der GIZ, damit haben wir nichts zu tun. Wir sind hier Geburtshelfer für weniger Arbeitslosigkeit und helfen mit unserer Vorortexpertise.“

Seit Gründung habe man 500 Jugendliche in Arbeit gebracht – von 5.000 Arbeitslosen in der Region, behauptet Demere. Und dann schiebt er hinterher, so als hätte er es fast vergessen, dass dieses Projekt im weitesten Sinne auch eines zur Bekämpfung von Flüchtlingsursachen sei.

Die Kooperative schafft Jobs in Dano

Und als hätten die dort gerade arbeitenden Jugendlichen in dem Center unsere Fragen geahnt, erzählen sie von ihren verwehten Fluchtträumen nach USA, Canada oder Saudi Arabien. Die 20 jährige Naima würde wohl jetzt nicht Niger-Saat häckseln, sondern in Saudi Arabien „arbeiten“. Ihr 24-jähriger Kollege nicht Niger Saat zu hochwertigem Öl pressen, sondern in Canada beim Amt über Jahre hinweg eine Aufenthaltsgenehmigung erbetteln. Das zumindest waren beider Pläne, bevor sie im Center einen festen Platz gefunden haben.

Doch wie fest der ist, kann keiner sagen. Jeske nicht, Neuhaus nicht, Demere und Berhanu auch nicht. Aber: Seine Festigkeit ist zumindest für die Projektzeit sehr groß. Also solange bis sich Menschen für Menschen samt GIZ und BMZ aus dem Gebiet zurückziehen. Und das werden sie. Das gehört zum Erbe von Karlheinz Böhm dazu. „So wollte er es“, betont Berhanu Negussie, der Landesrepräsentant in Addis. „Sind die Menschen in einer Region von uns soweit geschult, dass sie aus eigener Kraft weitermachen können, gehen wir raus. Danach müssen sie alle schauen, dass sie das Gelernte anwenden. Wir machen sie nicht von uns abhängig.“

Doch was belegen diese Beispiele eigentlich?

Die Gedanken, die uns kommen, sind so holprig wie die Straßen, die uns zu ihnen führen. Macht das alles wirklich nachhaltig Sinn oder versinken die Menschen, wenn die Stiftung das Projekt verlässt, nicht genau in dem Übel, dem sie einst Dank ihrer Hilfe entkommen konnten?

Doch insbesondere an der Entwicklungshilfe scheiden sich die Geister ja nicht mehr. Weitestgehender Konsens besteht nämlich genau darin, dass ihre Wirksamkeit zu hinterfragen ist, indem ihr Langzeitnutzen wissenschaftlich untermauert werden sollte. Es gibt unzählige Institute und Start-up-Unternehmen, die sich auf die Suche nach einer solchen Wirksamkeitsanalyse begeben haben und durchaus erfolgreich Erkenntnisse gefunden haben.

„Bring einem Äthiopier mal bei, jahrelang Statistiken und Powerpoints über einzelne Setzlinge, die sie einst gepfalnzt haben, zu führen. Überzeuge sie mal davon, dass es wichtig ist, auch nach dem Schulabschluss bei einer MfM-Schule über Jahre mit uns in Kontakt zu bleiben, damit wir langfristig wissen, was aus ihnen geworden ist. Ob unser Engagement für sie treffsicher war oder nicht. Und welche Kriterien sollen wir anlegen?“, kontert Jeske auf diese Frage.

Fairerweise muss man sagen, dass wir in Äthiopien lernen mussten, dass es mitunter nicht ganz einfach zu sein scheint, diesen Nachweis zu erbringen. Denn dies erfordert einen sehr hohen bürokratischen und organisatorischen Aufwand. „Den kann eine mittelständische Stiftung wie wir sie sind kaum leisten. Es sei denn, wir verschwenden unsere Gelder. Unsere jahrelange Erfahrung zeigt uns aber, dass wir richtig liegen“, resümiert Jeske.

Wie es um den Nachweis der Nachhaltigkeit bei MfM bestellt ist, haben wir den Vorstand von Menschen für Menschen – Dr. Sebatian Brandis – gefragt. Hier zum Interview