Klöster im Wandel
Kloster Gnadenthal (Bildrechte bei Kloster Gnadenthal)

„Man ahnt nicht, was es bedeutet, 30 oder 40 Jahre immer wieder als Klostergemeinschaft im Gebet und in der Versöhnung zu bleiben“, antwortet Schwester Michaela von der ökumenischen Kommunität Jesus-Bruderschaft im Kloster Gnadenthal fast als ersten Satz auf die Frage: „Vor welchen Herausforderungen stehen geistliche Gemeinschaften heutzutage?“

Und damit ist auch gefragt, wie sich ein Kloster zu Beginn des 21. Jahrhunderts denn eigentlich aufstellen muss, um den klösterlichen Fachkräftemangel zu überstehen, sprich die Nachwuchsfrage zu lösen. Darüber sprachen wir mit Bruder Franziskus, Schwester Michaela und Jutta Ebersberg im Hessischen Hünfelden und haben ehrliche Antworten bekommen. Drei sehr offene Gesprächspartner/innen gaben uns einen nicht alltäglichen und sehr echten Einblick in ihre komplexe Situation.

Die Gesellschaft verändert sich und diese Veränderungen spiegeln sich auch in den Verästelungen eines Klosters wieder; jedes Kloster kann das wahrscheinlich bestätigen. Die Jesus-Bruderschaft selbst wurde 2004 fast insolvent. Die evangelische Kirche und der Freundeskreis aber retten sie.

Die Bruderschaft besteht seit 1961 und lebt auch heute noch in der Kommunität für die Einheit des Leibes Christi. Junge Menschen aus Ost- und Westdeutschland trafen sich Ende der 1950er Jahre zu Tagungen. Sie haben damals den Gedanken eines so genannten Gebetsringes entwickelt. Schließlich gründen zwei zölibatäre Brüder das gemeinsame Leben im Ostfriesischen Hamswehrum. Die Jesus-Bruderschaft ist geboren. Drei Jahre später kommt die Schwesterngemeinschaft hinzu; weitere drei Jahre später die Familiengemeinschaft.

Es trafen sich damals also Sinnesgenoss/innen, um ihr Leben in einer Gemeinschaft aus dem Evangelium heraus zu gestalten. Dieser Tradition folgen sie noch heute. Und sind dabei konzeptionell eng verbunden mit Ordensgemeinschaften und geistlichen Gemeinschaften wie denen der Zisterzienser, der Jesuiten und der Herrnhuter Brüdergemeinde.

Impressionen aus einem Gottesdienst in der Klosterkirche
Impressionen aus einem Gottesdienst in der Klosterkirche

Im ehemaligen Zisterzienserinnenkloster Gnadenthal lebt die Jesus-Bruderschaft seit 1969. Seitdem hat sich vieles verändert. Bruder Franziskus beschreibt das so: „Wir mussten uns über die Jahre anpassen und unsere Einstellungen in mancherlei Hinsicht verändern. Früher haben wir vereinheitlicht gelebt. Und darunter haben wir gelitten. Man kann Menschen nicht über einen Kamm scheren. Das haut nicht hin. Wir haben es aber gemacht, weil wir dachten, das wäre das Ideal vom gemeinsamen Leben. Und wir haben Anstoß genommen, wenn einer aus der Reihe getanzt ist. Wir haben lernen müssen, dass Einheit nicht Vereinheitlichung heißt.“

Um zu verstehen, dass ihr eigentliches Anliegen mehr als zeitgemäß ist, müssen wir in das Wesen von Gnadenthal eintauchen. „Wir sind ein Baum mit drei Zweigen: Brüdern, Schwestern und Familien“, erklärt Schwester Michaela. Die Bruderschaft lebt inmitten der Welt. Sie führen kein Leben in Abgeschiedenheit wie in der Tradition des klösterlichen Lebens der meisten Ordensgemeinschaften.

Dass da Konflikte vorprogrammiert sind, ist klar. Denn bezieht man nun den Drang nach mehr Individualität, mehr Freiheit, mehr Selbstbestimmung in unserer Gesellschaft mit ein, wird das Ausmaß der Herausforderungen spürbar, vor denen eine geistliche Gemeinschaft heute steht.

Impression Äbtissinnenhaus
Impression Äbtissinnenhaus

Vielleicht wird erst jetzt Schwester Michaelas Satz richtig verständlich: „Man ahnt nicht, was es bedeutet, 30 oder 40 Jahre immer wieder als Klostergemeinschaft im Gebet und in der Versöhnung zu bleiben.“ Denn heute seien die Menschen geprägt von Werten, die damals in den Anfängen gar nicht galten. Das betrifft die Gäste, die jungen Schwestern, Brüder oder die Familien gleichermaßen, die der Gemeinschaft beiträten. Sie würden genau diese Werte einfordern – und das ganz selbstverständlich, weil sie anders groß geworden seien. Und Schwester Michaela macht es an einem Beispiel deutlich: „Soll ein Computer in den Zimmern stehen? Anfangs waren wir strikt dagegen“, erinnert sie sich. „Jetzt haben wir erkannt, dass es auch mit Computern geht.“

Wenn man ihr zuhört, möchte man meinen, die Alten hätten sich dem Willen der Jungen gebeugt. Doch Bruder Franziskus lacht und korrigiert: „Wir haben uns entwickelt und können das Neue jetzt willkommen heißen. Das war schwer – zugegeben.“ Übrigens bekommen alle Gäste auch kostenlosen WLAN-Zugang, auch dem ist ein Umdenken vorausgegangen.

Heute sind sie froh, dass sie diese Prozesse innerhalb ihrer Gemeinschaft durchgestanden haben. Denn jetzt lebten alle viel echter miteinander und würden dem Menschensein gerechter.

„Hand aufs Herz: Je älter wir werden, desto mehr empfinde ich es als Zugewinn. Das sah ich aber nicht immer so“, schmunzelt Bruder Franziskus zurück.

Im Kloster Gnadenthal sind alle willkommen. Es gibt verschiedene Angebote. Schon immer. Nun habe man auch diese Angebote an die Bedürfnisse von heute anpassen müssen. „Früher wussten die Gruppen um die festen Tagesgebete. Heute müssen wir diese als Angebot formulieren. Das ist sehr wichtig“, erklärt Bruder Franziskus.

„Wer lieber ausschlafen will, darf das. Es gibt keinen Zwang mehr, nur Optionen, die die Gäste wahrnehmen können.“ Und seltsamerweise nehmen die Gäste sie an und sind dankbar dafür. Die befürchtete Flucht in die Bequemlichkeit ist ausgeblieben.

Und was ist mit den Familien? „Auch sie legen heute auf andere Dinge Wert als in den 70ern“, stellt Jutta Ebersberg, Vorstandsvorsitzende des Jesus-Bruderschaft e.V. fest. Das einfache, ressourcenschonende Leben stehe bei den jüngeren Familien mehr im Vordergrund als früher. Gemeinsam konzentrierten sich die Familien auf das ökologische Leben und schauen auf das Wesentliche. Und so will Gnadenthal im Hessischen Hünfelden einmal ein gelungenes Beispiel sein, nämlich für einen Wandel in vielerlei Hinsicht. Noch jedoch befindet sich die Gemeinschaft mitten in diesem Wandlungs- und Anpassungsprozess. „Wenn wir den jedoch nicht schaffen, sterben wir im wahrsten Sinne des Wortes aus“, sagt Bruder Franziskus.

„Aber wir sind auf einem guten Weg und wir sind sehr zuversichtlich“, siegessicher sagt er das aber nicht. Er betrachtet die Gesamtsituation der Gesellschaft skeptisch und sorgenvoll, denn er weiß, wie schwer es ist, eine Gemeinschaft als ganze zu adjustieren. Gerade wenn Gesellschaften im Umbruch sind wie in unseren Zeiten. Die Menschen sind zwar auf der Suche nach Kontemplation und Stille. Doch das Angebot hat sich vervielfacht und die Konkurrenz ist groß.

Schwester Michaela und Bruder Franziskus studieren seit nunmehr vier Jahrzehnten das Menschsein. Sie waren gekommen, um in der Gemeinschaft Jesus Christus zu finden. Mussten aber lernen, dass dieser auch in der Versöhnung über den Umweg des täglichen inneren und äußeren Konfliktes zu suchen ist. Immer wieder und jeden Tag. Jesus Christus im anderen erkennen, auch wenn die andere eine Fremde zu sein scheint, die uns doch eigentlich wohlbekannt ist. Genau da beginnt wahre Gemeinschaft – in der Versöhnung, auch mit sich selbst. Und das scheint Gnadenthal und seine rund 80 Bewohner zu tragen und im Miteinander weiter und enger zu verknüpfen.

Wer Gnadenthal einmal besuchen möchte, hat viele Möglichkeiten dort zu sein. Das Gästehaus „Haus der Stille“ beispielsweise bietet als Einkehrhaus Stillewochenenden oder Exerzitien. Hier kann man als Gruppe oder Einzelgast sein. Der Nehemia-Hof ist ebenfalls ein Gästehaus und eine Art Bildungsstätte für Kinder, Jugendliche und Familien.

Hofgut Kloster Gnadenthal

Dem Kloster zugehörig sind eine Landwirtschaft (Bioland-Richtlinie), eine Buchhandlung und eine Kunstgalerie.

Hofgut Kloster Gnadenthal

Gnadenthal hat den Umweltpreis durch den Landkreis Limburg-Weilburg und den Hessischen Denkmalschutzpreis für die Wiederbelebung des Dorfes und des Klosters einst verliehen bekommen. Wer sich übrigens einen ummauerten Gebäudekomplex unter Gnadenthal vorstellt, der irrt. Das Kloster erstreckt sich fast über das gesamte Dorf Gnadenthal, in dem das Gebet zuhause ist und über das die Gemeinschaft wacht. Weitere Infos zum Jahresprogramm finden sich hier.

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