Foto: bmaynard- stock.adobe.com
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Am Ende der landwirtschaftlichen Kette stehe, so Günther Czerkus, die Schäferei. Sie würde schlecht bezahlt, sei aber sehr beliebt, sie sei anstrengend, aber sehr erfüllend, ihr würde von Landwirtschaftsministerien und EU-Agrarausschüssen zuweilen wenig Gehör geschenkt, doch habe sie Lebenswichtiges zu sagen. Wir sprachen mit ihm, dem Vorsitzenden des Bundesverbandes der Berufsschäfer, über eine Zunft im Diskurs – eine Zunft im Dilemma.

Der Hauptsitz des Verbandes befindet sich in unmittelbarer Nähe zu Luxemburg im deutschen Teil von Wallendorf. Dieser Hauptsitz ist gleichzeitig der Wohnort von ihm und seiner Frau, und dieser Hauptsitz ist leicht zu sehen, aber schwer zu finden. „Heute ist kein Schaf zu Hause, die werden von einer Kollegin betreut. Ich habe mal zwei Wochen frei“ und er schiebt hinterher „Heute gibt es was zu feiern.“

So, was denn?

Und damit sind wir schon mittendrin in einem Für und Wider, in einem Zündstoff, in versicherungstechnischen Ungereimtheiten und in dem, an dem sich die Geister des Naturschutzes, der Tierliebe, der Menschenliebe und der Landwirtschaft scheiden: der Berufsschäferei.

Warum Günther Czerkus in Feierlaune ist, liegt nicht am Schaf, sondern am Wolf. Seit dem 9. November 2018 können die Schäfer nämlich alle Maßnahmen für den Herdenschutz zu 100 Prozent  aus Landesmitteln erstattet bekommen. Bisher gestattete die EU lediglich eine Förderung bis 80 Prozent der Materialkosten. Geschafft!

„Wir wollten den Wolf nicht. Aber er ist da und wir Schäfer müssen mit ihm leben. Wir müssen unsere Schafe vor ihm schützen.“

Klargestellt: Berufsschäfer begreifen sich als Hüter der Schafe und nicht als Jäger des Wolfes. Herdenschutz bedeute klassischerweise in Deutschland, dafür zu sorgen, dass die Nutztiere nicht aus ihren Koppeln ausbrechen können. Jetzt, mit dem Wolf, bedeutet Herdenschutz auch noch, sie vor Eindringlingen in die Herde zu schützen – also vor dem Wolf. Und dieser zusätzliche Aufwand sei nach Meinung von Günther Czerkus und seinen Kolleg*innen Aufgabe der Gesellschaft. Es sei ihnen, den Schäferinnen und Schäfern, nicht zuzumuten, die immensen zusätzlichen Mehrausgaben zu leisten. Denn wie gesagt, die Schäferei wird schlecht bezahlt.

Dabei dient sie der Gesellschaft in einem Maße, das keiner sieht. „Würde man den Schäfern alle guten Naturschutztaten und gesellschaftserhaltenden Maßnahmen gerecht entlohnen „ginge es uns besser.“ „Aber das ist doch ein Fass ohne Boden, Herr Czerkus. Das zahlt doch nie im Leben ein Staat?“ „Aber genau da müssen wir hin. Und dafür kämpfen wir.“

Wie schwer es den Schäfern gemacht wird, zeigt auch der aktuelle Grund der Freude von Günther Czerkus. Auch wenn er sehr erleichtert über die neue Entscheidung ist, so gibt es auch bei dieser Fallstricke. Denn wie immer im bürokratischen Dschungel müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. So müssen sich die Schäfer in einem Wolfsgebiet befinden.

Czerkus sieht das kritsich. Klar, im Westerwald sind sie sesshaft. Hier wird gezahlt. Nicht aber so in den Nachbarkreisen, in die der Wolf nachts reinschlendert. Um dort Hilfen zu beanspruchen, müssten die Wölfe angefüttert werden, um zu beweisen, dass sie dort auch eine Gefahr darstellen. Erst dann kann der Antrag auf Prävention gestellt werden. Dass der Wolf da ist und dass von ihm eine Gefahr ausgeht, stellt eigentlich niemand in Abrede. „Im Moment gibt es einen wahnsinnigen Schub in Niedersachsen und Schleswig-Holstein bis hin nach Süddänemark. Da gibt es täglich drei bis vier Wolfsübergiffe.“

Seine Branche ist im Umbruch. Die Schäferei galt lange Zeit als absoluter Randsektor in der landwirtschaftlichen Erzeugung. „Seit 2010 hauen wir richtig auf die Trommel, um gehört zu werden.“ Mit Erfolg: Jetzt wird seine Zunft in Anhörungs- und Bundesgesetzgebungsverfahren integriert. Jetzt hat er eine bessere Basis, um endlich auch gegen die schlechte Wirtschaftlichkeit zu kämpfen: „Junge Leute, die Schäfer*innen werden wollen, frage ich zuerst, ob sie mit 1,200 Euro im Monat eine Familie ernähren wollen.“ Denn es gebe ganz wenige Betriebe, die mehr als den Mindestlohn bezahlen können. „Und wenn der auf 12 Euro erhöht würde, sieht es schlecht aus für uns.“

Nichts zu meckern
Er fordert ein Grundeinkommen für diejenigen landwirtschaftlichen Betriebe, die einen hohen gesellschaftlichen Nutzen erbringen wie es die Schäferei tut. Denn Schäfer*innen betreiben als agrarökologische Dienstleister intensiven Ressourcenschutz wie Erosionsschutz, Artenschutz, Grundwasserschutz, CO2-Bindung im Grünland. Schäfer haben in keinem Bereich des biotisch oder abiotischen Ressourcenschutzes negative Einflüsse. Und diese Dienstleistungen müssten nach Czerkus‘ Meinung dringend erstattet werden.“ Diese so genannte dritte Einkommensquelle liegt derzeit komplett brach und Czerkus will sie erschließen.

Er ist mit seinen Kolleg*innen dabei, alle diese Leistungen zu quantifizieren. Mit seinem Projekt Vernetzung verinselter Biotope (www.biodiversitätstaxis.de) ist er einen wichtigen Beweisschritt gegangen. Die Lebensräume für seltene Tiere und Pflanzen werden immer kleiner und verinselter. Diese Tier- und Pflanzenarten sind aus ihrer genetischen Enge herauszuholen. „Ansonsten werden die Populationen irgendwann aussterben.“ Schafe seien die Lösung.

Denn sie sind die einzigen Weidetiere, die von einer in eine andere Fläche ziehen. Mit ihrer Wolle transportieren sie ein Vielfaches mehr an Pflanzenbestandteilen und kleinen Tierchen als jedes Wildtier. Mit seinem Projekt hat er die Sameneintragsleistung in ein anderes Biotop ermittelt und in Euro umgerechnet: rund 4,000 Euro pro Vegetationszeit. Rechnet er nun noch die Antrappelleistung und das Verbeißen von Konkurrenzpflanzen mit Erhalt der Schutzvegetation oder weitere Schafsdienstleistungen hinzu wie Flächenpflege unter Solarparks oder auf Industrieflächen, käme er auf einen lebensbejahenderen Betrag als jetzt.

„Diese Schafsdienste sind geldwert.“

Denn auch der Bauer trappelt an. Er fährt nach der Aussaat mit der Walze über die Fläche, um die Saat im Boden zu verankern (Bodenschluss). Außerdem hat er Maschinenkosten, Rüstzeiten und Anfahrtskosten, die er sich erstatten lässt. Es gibt übrigens verschiedene Pflanzen, die die Darmpassage brauchen, um überhaupt keimen zu können. Schafe leisten das. Auch wenn sich wahrscheinlich kein Ministerium darauf einlassen wird, den Schäfern die Darmpassagendienstleistung ihrer Schafe auszugleichen, gibt es aber sehr wohl Aspekte, die adäquat zu entlohnen sind wie die Reinhaltung des Trinkwassers durch die Schäferei oder die CO2-Bindung im Grünland.

Günther Czerkus
Günther Czerkus, Vorsitzende des Bundesverbandes der Berufsschäfer

Deshalb, weil das alles sehr umfangreich ist und sehr komplex, will Czerkus für diese dritte brachliegende Säule ein Grundeinkommen für die Berufsschäferei durchsetzen. „Das ist das einzig sinnvolle.“ Es sei den Schäfern nicht zuzumuten, alle ihre vielen Einzelleistungen für die Allgemeinheit minutiös nachzuweisen. Ein Fond muss her, aus dem dieses Grundeinkommen gespeist wird. Czerkus verlässt sich auf die Gesellschaft. Denn sie  möchte umweltverträgliche Bewirtschaftungsmethoden. Und genau hier setzt er an.

Letzte Frage für heute, Herr Czerkus: Warum ist die Schäferei eine versicherungstechnische Ungereimtheit?
„Wenn der Wolf nun doch in eine Herde eingebrochen ist und die Schafe panisch durch die zerstörten Zäune auf die Straße des Nachts gelaufen sind, und wenn in diese Tiere ein Autofahrer rast und sich so schwer verletzt, dass er arbeitsunfähig wird oder im Rollstuhl endet, steht die Frage im Raum, wer das ganze zahlt. Die Versicherungen haben viele Argumente in ihre Bestimmungen eingebaut, damit sie in den seltensten Fällen zur Kasse gebeten werden können. Dann hat das Opfer den Spott und den Schaden zugleich. Das sind unhaltbare Zustände an denen wir auch arbeiten. Ein wahres Dilemma.“

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