
Welche Gehirnmechanismen hinter einer Alkoholsucht stehen wird derzeit an der Uni Zürich erforscht. Denn beim Konsum werden Botenstoffe ausgeschüttet, die angenehme Gefühle verursachen, ein Belohungssystem kommt in Gang. Und bei regelmäßigem starken Konsum verändern sich die Nervenzellen und deren Rezeptoren schrittweise. Beteiligt sind neben dem Dopaminsystem auch die Opioidrezeptoren, die sich durch übermäßigen Alkoholkonsum verändern.
„Das primäre Ziel heutiger Therapien ist es, den Konsum von Alkohol zu reduzieren, um die Sucht in den Griff zu bekommen“, erklärt Professor Erich Seifritz, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich.
Eine komplette Abstinenz werde heute in den meisten Fällen nicht mehr primär angestrebt. Es sei so weniger schwierig, die Betroffenen in der Therapie zu halten. In der ersten Phase der Therapie geht es vor allem darum, die körperliche Gesundheit zu stabilisieren, die Laborwerte zu verbessern und das Überleben zu sichern. Dies kann je nach Fall stationär oder auch ambulant erfolgen. Danach werden die Patientinnen und Patienten vor allem psychotherapeutisch begleitet, damit ein Leben mit einem kontrollierten Alkoholgenuss unter Aufsicht möglich ist.
Obwohl eigentlich wirksame Medikamente vorhanden sind, werden diese in weniger als zehn Prozent der Fälle eingesetzt. Diese Versorgungslücke ist bedauerlich. Sie liegt nicht zuletzt auch an der Stigmatisierung von psychischen und insbesondere von Suchterkrankungen. Medikamente können vor allem helfen, Rückfälle zu vermeiden. Einige davon, zum Beispiel Acamprosat, reduzieren das Verlangen nach Alkohol, in dem sie die Rezeptoren der Nervenzellen besetzen, die dieses Verlangen auslösen.
Medikamente sind da
Andere, zum Beispiel Naltrexton, hemmen die Opiatrezeptoren, so dass der Rauscheffekt von Alkohol ausbleibt. Auch die neuste Substanz, die in der Schweiz zur Verfügung steht, Nalmefen, hat Eigenschaften, die eine Verminderung der Trinkmenge unterstützen. Der bekannteste Wirkstoff ist Disulfram, oder auch Antabus genannt, der das Enzym Alkoholdehydrogenase hemmt, was den Abbau von Alkohol verlangsamt und zu einer Anreicherung von Acetaldehyd führt. Diese ruft unangenehme Nebenwirkungen wie Hautausschlag oder Kreislaufbeschwerden hervor. Diese sogenannte „Aversionstherapie“ sollte nur bei sehr kooperativen Patienten durchgeführt werden, weil die Nebenwirkungen lebensgefährlich sein können.
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„Medikamente können höchstens zur Unterstützung eingesetzt werden“, mahnte Seifritz. Wichtig sei die Motivation, etwas verändern zu wollen. Weil dies aber alleine schwierig zu bewältigen ist, empfiehlt Seifritz neben einer gezielten psychotherapeutischen Unterstützung auch den Eintritt in die Selbsthilfegruppe «Anonyme Alkoholiker (AA)». „Die AA ist für viele Betroffene eine enorm wichtige Stütze“, sagte er aufmunternd. Bei den Treffen hört jeder dem anderen zu und Erfahrungen werden ausgetauscht. Die Solidarität, die Betroffene bei den dort erleben, ist ein sehr wichtiger Therapiebaustein.
„Es gibt brauchbare Tools im Internet, sogenannte Promille-Rechner, die anhand der getrunkenen Alkoholmenge und einfachen Angaben, wie Geschlecht, Körpergröße und Gewicht, den zu erwartenden Blutalkoholwert abschätzen lassen“, sagte Seifritz. Diese Tools könnten hilfreich sein, um das Bewusstsein dafür zu wecken, wie schnell der Alkoholspiegel im Blut ansteigt. Man müsse sich jedoch auch bewusst sein, dass der tatsächliche Blutalkoholwert von vielen Faktoren abhänge, sagte der Psychiater. Zudem sei nicht jeder, der regelmäßig Alkohol trinkt, automatisch auch süchtig.
